Die deutsche Begeisterung für den Dokumentarfilm ist seltsam. Anders gesagt, ist sie so deutsch, wie es auch De Randfichten oder die Wildecker Herzbuben sind. Zu denen gleich noch was. Erst muß, die Gelegenheit beim Schopfe fassend, Folgendes noch gesagt werden. Endlich mal, also: Es ist die aufs Kino erweiterte deutsche Vorliebe für den Volksschulkurs, die dieses Genre „Dokumentarfilm“ in heimischen Lichtspielhäusern so fest etabliert hat. Man mag sogar so weit gehen, diese Dok-Film-Präsenz als Symptom für ein hier ja nur rudimentär ausgeprägtes Bewußtsein für die Imaginationskunst Kino zu interpretieren. Dafür spricht, daß von den Dokumentationen, die hier nahezu wöchentlich auf die große Leinwand kommen, die wenigsten diese auch tatsächlich vertragen – formal wie inhaltlich.
Um das Polemisieren für dieses Mal zu lassen und zu SOUND OF HEIMAT zu kommen. Darin reist der schottisch-neuseeländische Musiker Hayden Chisholm durch Deutschland, um das hiesige Volksliedgut zu erkunden. Was für ein Thema, mag man aufstöhnen. Was für ein Kinostoff! Volksschulkurs, wie gesagt. Doch, obige Vorrede hin oder her, um es zu gestehen: SOUND OF HEIMAT offeriert sich als so kleine wie charmante Dokumentation, angereichert mit einigen wahrlich berührenden Momenten.
Denn Chisholm nähert sich mit so viel Neugier, Unvoreingenommenheit und auch Zuneigung dieser, „unserer“ Musik, daß das irgendwann einfach ansteckt. Plötzlich hört man hin: Und ja, was für hübsche Texte gibt es da, und was für Melodien! Alte Lieder, gespielt, am Leben gehalten, von Menschen, die eben so gar nichts mit Volksmusik-Klischees á la Randfichten und Herzbuben zu tun haben.
SOUND OF HEIMAT erweckt so ganz unaufdringlich die Lust am Neu-und Wiederentdecken einer Musik, die indes – und auch das thematisiert dieser Film – nicht ohne Grund aus dem allgemeinen Bewußtsein verdrängt wurde. Im KZ Buchenwald spricht Chisholm mit einem ehemaligen Insassen, der berichtet, wie einst die neuen von den alten Häftlingen beim Appell mit einem Lied „begrüßt“ werden mußten: „Alle Vögel sind schon da“ galt es zu singen, und wenn die brüchige Stimme des Alten anhebt, neben Chisholm auf dem einstigen Lagergelände stehend, das Lied zu intonieren, ist das ungeheuer berührend.
Es ist gut, daß der „Sound“ der Heimat vor dem Vergessen bewahrt wird, zu dem ihn gerade auch die Verbrechen, die in dieser Heimat begangen wurden, fast verdammt hätten.
D 2012, 99 min
FSK 0
Verleih: 3Rosen
Genre: Dokumentation, Musik
Regie: Arne Birkenstock, Jan Tengeler
Kinostart: 04.10.12
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.