Florian Opitz hat zu wenig Zeit sowie zu viele Posten auf der To-Do-Liste. Realistische Charaktere blättern mal kurz ihren Terminkalender durch und identifizieren das als generell bekannte Herausforderung, nachsichtigere Naturen hingegen verstehen voll, daß der Mann daraus gleich eine Doku machen mußte. Mit sich selbst in protagonistischer Funktion, offensichtlich leidet er demnach stark genug, öffentlich nach Wegen zur alltäglichen „Entschleunigung“ zu suchen.
Ein Seminarbesuch beim Guru Lothar Seiwert bringt’s allerdings irgendwie nicht wirklich, auch das Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräch mit einer Unternehmensberaterin birgt keine richtig befriedigenden Erkenntnisse. Ergo ab auf die Alm, wo man – unglaublich! – sogar ohne Armbanduhr überleben kann, und alles schön lauschig scheint. Leider etwas zu lauschig für Opitz‘ Geschmack. Oder besser gesagt: Für unser aller Empfinden, denn schließlich heißt es immer „wir.“ Schon schön, wenn ein einzelner Mensch, hier Regisseur, über das Wohl und Wehe seiner Umwelt entscheidet, auf Unwichtigkeiten wie Individualität pfeift. Gut, zugestanden, wer noch genug Energie besitzt und sich nicht bereits interessentechnisch verabschiedet hat, bekommt mit, daß Fürsprecher Opitz das erkennt. Aber ein winziger Nebensatz scheint dann doch dezent dünn.
So reist er also quer durch die Botanik, der gehetzte Streßbarde, verpulvert Ressourcen vielerlei Art, kommt schließlich zu insgesamt bloß banalen Schlußfolgerungen, entlockt Gesprächspartnern nebenher erstaunliche Zusammenhänge à la „Angst macht krank, deshalb habe ich keine“, darf die Suchtgefahr durch Smartphones ergründen, vergißt dabei aber Gott sei Dank niemals, sich ins rechte Licht zu rücken. Schließlich erkunden wir uns ja – und zwar wir alle, siehe oben – ausgehend von seinem Problem.
Klar, manchmal stellt die Oberflächlichkeit neben längst leergefilmte Aufnahmen auch spannende Bilder, wie sie nun nicht eben gängiger Standard für eine Dokumentation sind. Doch was nützt es, wenn am Schluß trotzdem die ultimative und selbst nach einigen Entspannungsübungen zum besseren Horchen ins eigene Ich unbeantwortete Frage dröhnt: Warum sollte man denn nun eigentlich seine vorgeblich dermaßen kostbare Lebenszeit investieren, um sich diese über weite Strecken arg eitle und wenig aussagende Nabelschau eines von sich selbst Getriebenen im Kino anzusehen?
D 2012, 97 min
FSK 6
Verleih: Camino
Genre: Dokumentation
Regie: Florian Opitz
Kinostart: 27.09.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...