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Stadt als Beute

Im Text, um Text und um Text herum

Fasziniert von der Arbeit des Theaterautoren und -regisseurs René Pollesch bearbeiteten drei Regisseurinnen dessen Stück "Stadt als Beute". Dieser Theatertext, dramatisch in seiner Vehemenz, nicht in der Struktur, ist im Kern entpersonalisiertes Sprechbombardement auf ein abstraktes Ungeheuer: die Großstadt als ökonomisches System, in dem Standorte und Humanmaterial verramscht werden. Der ungewöhnliche Film, der daraus entstanden ist, befreit sich mutig vom Autismus der sperrigen Stadt- und Selbstbeschimpfung, ohne ihren fluoreszierenden Gehalt zu verraten.

Fiktive Theaterproben zu "Stadt als Beute", in denen Regisseur Pollesch sich - nicht ohne Ironie - selbst spielt, bilden Rückgrat und Impuls für ein Berlin-Stück in drei Akten. Der erste gehört dem Schauspieler Marlon. Auf den Proben liegt ihm Polleschs Sprache wie eine Handvoll Kiesel im Mund - erst draußen im Leben beginnt er sie zu schmecken. Fieberhaft sucht Marlon einen kleinen Jungen, den ihm die WG-Genossin anvertraut hat. Am Probenraum spuckt Berlin ihn zerschlagen wieder aus - und schlürft Schauspielerin Lizzy in sich hinein. Die gerät in eine surreal gestaltete, schwüle Rotlicht-Ballade mit melancholischem Callboy und trauriger Porno-Queen - Seelenverwandte, die aber letztlich doch nur ihren teuren Champagner verkaufen wollen. Die dritte Episode folgt dem Stütze-Empfänger Ohboy. Er kommt zu spät zur Probe und versucht noch im Hetzen und Stolpern durch die Straßen, seine Rolle zu lernen. "Das Sony-Gebäude, das steht da eigentlich gar nicht!" Ohboy schreit seinen Text der Stadt entgegen, als würde sie ihn abfragen.

In starken Szenen wie dieser werden Polleschs Satzfetzen zum Klingen gebracht - als sinnlich und emotional erfahrbares Anwendungsbeispiel für ihre literarisch verschränkte, tosende Sinnhaftigkeit. Filmisch durchaus konventionell, aber eben nie einfallslos umgesetzt, gelingt Dehne, von Alberti und Gronenborn ein echtes Beutekunstwerk der phantasievollen Textaneignung, in dem drei unterschiedliche Handschriften stilistisch wie intellektuell ineinandergreifen. Eine auch komische, immer fesselnde Textexegese, und eine logistische Glanzleistung im Transport einer verfressenen Stadtabstraktion in konkrete Geschichten.

D 93 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Episodenfilm, Tragikomödie

Darsteller: Inga Busch, Richard Kropf, David Scheller, Julia Hummer, Stipe Erceg, René Pollesch

Stab:
Regie: Irene von Alberti, Miriam Dehne, Esther Gronenborn
Drehbuch: Irene von Alberti, Miriam Dehne, Esther Gronenborn

Kinostart: 23.06.05

[ Sylvia Görke ]