Ja, ein Theaterfilm - und ein historischer dazu. Aber keine Angst vor eintönigen Monologen bei eingerasteter Kamera. Denn das komödiantisch romantische Bühnenspektakel gehört auch zu den großen Kino-Ereignissen dieses Herbstes, und die Kamera, die neugierig und lebendig in alle Winkel des Theaters vordringt, hat einen wesentlichen Anteil daran. Schon nach den ersten Bildern steckt man mitten drin in diesem atmosphärisch dichten und sinnlichen Universum, das einen fortan an die Leinwand fesselt.
London in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Shakespeare prägt noch immer die Theaterepoche - neben einer anderen kleinen Besonderheit: dem Schauspielverbot für Frauen. Frauen werden folglich von Männern gespielt, und Ned Kynaston ist nicht nur einer der schönsten Männer auf Londons Bühnen, sondern vor allem auch die schönste Frau. Von Frauen wie Männern gleichermaßen bewundert und hofiert, wurde er allerdings ein wenig eitel. Um so tiefer ist sein Fall, als der König, dem die stilisierte Darstellkunst auf die Nerven geht, das Schauspielverbot umkehrt und Kynaston von seiner Garderobiere Maria verdrängt wird. Die wiederum ist nicht nur sein größter Fan, sondern liebt ihn heimlich.
Aus einigen wahren Begebenheiten der Theatergeschichte zaubern der ehemalige Direktor des Royal National Theatres Richard Eyre und sein Team eine vielschichtige, rasante und schwelgerische Liebesgeschichte um Neidereien im höfischen Milieu. Im Zentrum steht Kynastons Suche nach einer geschlechtlichen Identität, die auf verzwickte Weise mit seiner beruflichen verbunden ist. Billy Crudup verkörpert den schönen Sonderling mit einer natürlichen Eleganz, die ihresgleichen sucht. Mit seiner Partnerin Claire Danes meistert er die große Herausforderung, mal gute und mal schlechte, mal weiblich-männliche und mal männlich-weibliche Darstellkunst zu spielen.
Regisseur Eyre nimmt sich dabei die Freiheit, auch von der Erfindung des naturalistischen Schauspiels zu erzählen. Das nun ist historisch völlig inkorrekt, aber ein weiterer Höhepunkt in einem durch und durch runden und geistreichen Film.
Originaltitel: STAGE BEAUTY
GB/USA/D 2004, 110 min
Verleih: Senator
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Billy Crudup, Claire Danes, Rupert Everett
Regie: Richard Eyre
Kinostart: 29.09.05
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...