Wie es heißt, öffnet sich immer dann eine Tür, wenn eine andere zufällt. Pietro muß allerdings erfahren, daß diese Weisheit leider auch umgekehrt Gültigkeit besitzt: Als er nach Rettung einer ertrinkenden Dame heimkommt, ist dort seine Frau gestorben. Aus heiterem Himmel. Zurück bleibt die kleine Tochter Claudia, welche im Herbst wieder zum Unterricht geht. Pietro, gestreßter Manager, findet vorerst keinen rechten Zugang zu ihr, will sie jedoch beschützen, keinen weiteren Verlust hinnehmen. Also setzt er sich auf eine Bank vor der Schule, wartet, besteht darauf, daß Claudia ihm in der Pause winkt und vertreibt sich die Zeit durch das Erstellen von Listen, mit denen er Erinnerungen aufarbeitet. Schrittweise findet der äußerlich absolut kontrolliert wirkende Witwer endlich zu seiner Trauer, anderen Menschen und sich selbst ...
Was in überzogener Dramatik hätte versacken können, ist vielmehr locker genug inszeniert, um dem Zuschauer stets die Seele zu streicheln. Wirklich wunderbar zum Beispiel Pietros Kampf gegen Claudias Haargummi oder auch sein wiederkehrendes, alle Klischees meidendes Spiel mit einem behinderten Jungen. Derlei Details vermeiden gleichzeitig ein Abgleiten in nicht zum Thema passende Slapstick-Gefilde oder omnipräsente Depression. Regisseur Grimaldi weiß zu gut, wie sehr Komik und Tragik einander bedingen, daß ein blutendes Herz umso lebendiger schlagen muß, und manchmal nur gefunden werden kann, was man losläßt.
Grimaldi nimmt seine Figuren bei allem Humor ernst, respektiert ihren Schmerz und wandelt so zielsicher auf dem schmalen Grat zwischen Lachen und Weinen, als wäre dies keine Leistung, sondern eine Normalität. Behutsam schaffen es da Alltäglichkeiten oder Randfiguren wie eine hübsche Frau mit Hund, welche zudem alle ihre eigenen Geschichten zugestanden bekommen, Pietros lange währenden Mikro- zum mentalen Makrokosmos zu verwandeln. Ohne billige Lösungen oder aufdringliches Happy End, die Botschaft ist so simpel wie facettenreich: Ihr Tod war nicht umsonst!
Obwohl es selten zuvor besser gepaßt hätte, scheint der Begriff „Meisterwerk“ aufgrund seines mittlerweile inflationären Gebrauchs zu beliebig, das vorliegende Kinowunder zu würdigen. Sagen wir besser, diese grandiose Studie in Dreivierteltakt und Moll beweist mal wieder nachdrücklich, daß kleine Filme ganz große Erlebnisse sein können.
Originaltitel: CAOS CALMO
I 2008, 112 min
FSK 12
Verleih: Kool
Genre: Drama
Darsteller: Nanni Moretti, Valeria Golino, Alessandro Gassman, Isabella Ferrari, Roman Polanski
Regie: Antonello Grimaldi
Kinostart: 29.01.09
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...