Noch keine Bewertung

Sto Spiti – At Home

Das Gesicht der Krise

Sparmaßnahmen. Ein Wort, das sich dieser Tage wohl mit keinem anderen europäischen Land so verbindet wie mit Griechenland, wo STO SPITI spielt. Was dieses sachliche Wort für ein ganzes Land tatsächlich bedeutet, kann man schwer in seiner Gänze erfassen. Besser verständlich wird die gnadenlose Konsequenz dieses so viel gebrauchten, von deutschen Boulevardmedien gern als getarnte Bestrafungsforderung verwendeten Begriffs, wenn man seine Folgen für ein Einzelschicksal beleuchtet. Genau das tut der griechische Absolvent der HFF Potsdam Athanasios Karanikolas mit akribischem Blick in seinem zweiten Langfilm.

Karanikolas’ Protagonistin ist die Haushälterin Nadja. Sie wird von ihren Arbeitgebern Evi und Stefanos, einem wohlhabenden Ehepaar, vor Bekannten gern als Teil der Familie bezeichnet. Für Evis Tochter Iris ist Nadja wie eine zweite Mutter. Seit 25 Jahren steht sie im Dienst dieser Leute. Wie leicht zu kappen die entstandenen Bande dennoch sind, muß Nadja erfahren, als ihre Arbeitgeber von Nadjas seltener Nervenkrankheit erfahren. Die Haushaltshilfe braucht selbst Hilfe. Angesichts der drohenden Pflegekosten für Nadja entschließt sich Stefanos zu einer Kündigung der Frau, die ihm jeden Morgen den Hemdkragen richtet. Es sind schließlich wirtschaftlich harte Zeiten angebrochen. Nadja trägt die Entscheidung mit Fassung, so wie sie alles in ihrem Leben mit Fassung hinnimmt, selbst die fatale Diagnose ihrer Krankheit. Ihr Freund Markos, ebenfalls Angestellter von Evi und Stefanos, rät ihr, sie solle die beiden verklagen. Doch Nadja lehnt ab. Der Abschied aus dem Zuhause, das nie ihr wahres Zuhause war, ist bestimmt von einem inneren Kampf statt von rechtlichen Streitigkeiten. Er wird ihr dennoch alles abverlangen.

Sparmaßnahmen ist auch das Stichwort für Karanikolas’ Inszenierungsstil. Der Mann aus Thessaloniki reduziert seine Einstellungen auf Totalen einer oberflächlich schönen Welt. Nahaufnahmen sucht man ebenso vergebens wie schnelle Schnitte. Die Erzählweise paßt sich der stoischen Haltung seiner Protagonistin an, was den Zuschauer mitunter an die Grenze seiner Geduld führt. Weit schwerer zu genießen wären die mitunter zermürbend langen Einstellungen ohne Karanikolas’ hervorragende Hauptdarstellerin Maria Kallimani. In ihrem Gesicht spiegelt sich die ganze Tragik ihrer Situation, wenn nicht gar die Misere eines ganzen Landes. Es gibt sicher schönere Komplimente als das, der europäischen Krise ein Gesicht zu geben. In diesem Fall ist es dennoch aufrichtig als solches gemeint.

Originaltitel: STO SPITI

Griechenland/D 2014, 96 min
FSK 0
Verleih: Arsenal Institut

Genre: Drama

Darsteller: Maria Kallimani, Marisha Triantafyllidou, Alexandros Logothetis

Stab:
Regie: Athanasios Karanikolas
Drehbuch: Athanasios Karanikolas

Kinostart: 02.10.14

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...