Originaltitel: EN GUERRE

F 2018, 113 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama

Darsteller: Vincent Lindon, Mélanie Rover, Jacques Borderie, David Rey

Regie: Stéphane Brizé

Kinostart: 25.04.19

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Streik

Heißgelaufen, kalt erwischt

Manchmal stören Zügel nur. Manchmal muß das Pferd mit seinem Reiter einfach nur rennen, jagen, straucheln, durchgehen. Nicht nach links sehen, kaum nach rechts. Manchmal muß es einen so unmißverständlich adressierten Film wie STREIK geben. Von einem Regisseur, der sich dazu entschließt, Partei zu ergreifen, anstatt in einer zu sein.

Stéphane Brizé wählt Humanität, Zwischenmenschlichkeit, Sympathie für den Minimalanspruch, sich in einem Arbeitskampf zu wehren. Irgendwann gibt es auch in STREIK körperliche Gewalt, also das, was verkürzt in TV-Nachrichten zu sehen ist, wenn im Paris der Gelbwesten und Blaujacken Autos brennen und Fensterscheiben klirren. Brizé geht es um Argumente und Gefühlslagen, bevor es brennt und klirrt. STREIK ist das hitzige Drama eines tagtäglichen Dilemmas. Schon sein Film DER WERT DES MENSCHEN handelte davon, als Vincent Lindon zum großen Solo für einen kleinen Mann ansetzte. Dort war der Ausnahmedarsteller ein wortkarger Typ, dem es im Inneren brannte. Jetzt bricht dieser Vulkan aus. Jetzt wütet dieser Vincent Lindon wie ein Berserker – für die Sache.

„Wir sitzen alle im selben Boot“, hören die Arbeiterinnen und Arbeiter seitens der Unternehmensführung. „Wenn ja, dann sitzen wir unter Deck mit den Ratten und der Scheiße“, lautet die emotionale Antwort einer jungen Frau. Die Angestellten hatten mit den Chefs einst einen Deal ausgehandelt: Lohnverzicht gegen Arbeitsplatzgarantie. Dieses Abkommen wurde pulverisiert, dem Werk – inzwischen in deutschem Besitz – droht die baldige Schließung, obwohl die wirtschaftlichen Zahlen von Rentabilität künden. Zähne zu zeigen, bedeutet STREIK. Und der Film geht mittenrein.

Dort, wo Gewerkschafter heißlaufen, sich verbünden und Lager bilden, Menschen nach Tagen und bald Wochen mürbe werden, weil Abfindungen winken, oder aufrecht bleiben, weil es auch um eine ganze Region geht. Wo der Berater des Präsidenten kommt und vermittelt, wo es Gespräche an Tischen gibt, grelle Debatten in Foyers, internen Streit, Tränen, Beleidigungen, Umarmungen, Handgreiflichkeiten. STREIK atmet dokumentarische Wucht und ist dennoch Spielfilm genug.

Laien agieren neben Profis, Dialoge sind aus Recherchen gewachsen, und schlicht grandios sind jene Momente, in denen Brizé den O-Ton auf null setzt und seinem Komponisten Bertrand Blessing das Zepter übergibt. Wortlos heftig!

[ Andreas Körner ]