Wie der Pressetext mitteilt, rissen sich Miamis Exilkubaner um erste Raubkopien von SUITE HAVANNA. Dies mag eine etwas seltsame Information sein, doch nach Ansicht des Films kann man solche Euphorie gut verstehen: Er ist tatsächlich etwas Besonderes.
Regisseur Fernando Pérez entführt uns 24 Stunden lang in seine Heimatstadt und beobachtet einige ihrer Bewohner. Da wäre beispielsweise ein Vater, der sich voller Hingabe um den behinderten Sohn kümmert. Arzt Juan Carlos bringt als nebenberuflicher Clown Kinderaugen zum Leuchten und überschminkt dabei auch die eigene Traurigkeit. Währenddessen verkauft Amanda mit ihren gestandenen 79 Jahren Erdnüsse – die Rente muß irgendwie aufgebessert werden. Jorge Luis dagegen wandert aus, Richtung USA. Doch damit wäre das humane Geflecht noch lange nicht in aller Gesamtheit erfaßt. Ein faszinierendes Mosaik entsteht daraus, indem sich alle diese Menschen ständig gegenseitig über den Weg laufen – und sei es bloß, weil sie von Amanda Knabbereien erwerben wollen.
Pérez wahrt immer respektvolle Distanz zu den Personen, kommt ihnen aber dennoch gleichzeitig sehr nahe. Er zeigt Hände, Gesichter und Augen in Großaufnahme, gräbt sich zu elegischen Melodien in Seelen ein und vergißt außerdem das soziale Umfeld nicht. Da bröckeln emotionale Mauern ebenso wie der Putz von maroden Wänden. Dialoge hört man bei alldem nur höchst selten, vermißt sie indes auch nie.
Dafür spielen Klänge eine große Rolle, pfeift ein Wasserkessel wippenden Pobacken hinterher, oder geben Autos Hupkonzerte. Pérez gelingt es, selbst hier kunstvolle Akzente zu setzen – in einer Szene inszeniert er sogar ein audiovisuell virtuoses Ballett aus Preßlufthämmern, Müllwagen und Fabrik-Alltag. Als Gesangsstimme ertönt dazu das kraftvolle Organ einer ärgerlich schreienden Frau. Obwohl dieser Ansatz sein Werk sehr originell macht, könnte man ihm gerade darum allerdings auch eine gewisse Theatralik und Realitätsferne vorwerfen. Ihre Wirkung verfehlt diese Liebeserklärung an die Einwohner Havannas trotzdem nicht, da sie in zwar stummer, aber keineswegs nichtssagender Brillanz schlicht für sich spricht.
Originaltitel: SUITE HABANA
Kuba 2003, 80 min
Verleih: Kairos
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Fernando Pérez
Drehbuch: Fernando Pérez
Kinostart: 20.01.05
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...