„Letztes Jahr hatte Christian erwogen, sich zu erschießen.“ Nun, es gibt unspannendere erste Filmsätze. Auch wenn man natürlich mit Christian fühlt, dessen Weingeschäft vor dem Bankrott steht, während seine Frau Anna ihn sowie den pubertierenden Sohn Oscar verließ, aus Karrieregründen von Kopenhagen nach Argentinien ging, sich einen Fußballstar angelte und jetzt die Scheidungspapiere schickt. Und Sie denken, Probleme zu haben?!
Christian jedenfalls rafft den kläglichen Rest Stolz zusammen und reist inklusive Oscar der Noch-Gattin hinterher – dazu entschlossen, die Abtrünnige zurückzugewinnen. Selbige jedoch zeigt sich als Dragoner, was ad hoc zur Überlegung führt, was eine so brillante Darstellerin wie Paprika Steen daran gereizt haben mag, diesen exaltierten Hexenbesen zu spielen. Leider findet man keine Antwort, sondern muß verstört zuschauen, wie die beiden Hauptfiguren fortan im kreischigen Clinch liegen.
Bevor jedoch ein Hörsturz massiv Opfer fordert, besinnt sich die Handlung auf ihre Stärken respektive Charaktere: Oscars Coming Of Age-Nebenstrang inklusive innerer Zerrissenheit sowie bittersüßer erster Liebe – im Culture Clash untergebracht! – und eben allen anhängenden Nöten wirkt ungleich echter, wurde zudem teilweise grandios visualisiert und reißt deshalb einfach mit. Gleiches gilt für ein zunächst herrlich muffeliges, dann indes umso explosiver aufblühendes Hausmädchen (wobei „Mädchen“ angesichts des Alters unserer Bediensteten schon sehr schmeichelhaft formuliert ist): Das langsame Auftauen, die sukzessive Sichtbarmachung der verletzten Frau hinter der Fassade eines burschikosen Drachens beeindruckt, weil hier sozusagen der fleischigste aller Parts agieren darf. Was übrigens nicht auf ihre in einer weniger sinnhaften Szene enthüllten Sharon-Stone-Gedächtnis-Betonbrüste gemünzt war, deren Anblick man instinktiv mittels Rückwärtsbewegung im Sessel zu entkommen sucht.
Ideen wie diese stehen in einer Einheit mit dem eher westlichen, sprich schenkelklopfenden, Humor und damit der oft zarten Grundstimmung im Weg. Daß letztlich trotzdem etwas insgesamt durchaus Sehenswertes entstand, dafür bürgen neben den Subplots zum Glück brillante Einfälle wie ein höchst höflicher Überfall. Und beim Tango weht es dann endlich richtig durch den Saal, das argentinische Flair, welchem man sich weder entziehen kann noch will.
Originaltitel: SUPERCLÁSICO
DK 2011, 99 min
FSK 12
Verleih: X Verleih
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Anders W. Berthelsen, Paprika Steen, Jamie Morton, Adriana Mascialino, Sebastián Estevanez
Regie: Ole Christian Madsen
Kinostart: 03.05.12
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...