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Suzhou River

Meerjungfrauen-Märchen für Herz und Verstand

Durch Shanghai quält sich das braune, schmutzige Wasser des Flusses Suzhou. Ein namenloser Videofilmer folgt seinem Lauf mit dem Boot, spricht von wundersamen Nixen, die man hier sah, von Liebenden, die sich ins Wasser stürzten. Er berichtet, wie er seine Freundin Meimei in einem Nachtlokal kennenlernte, wo sie im Kostüm einer Meerjungfrau die Gäste unterhielt. Doch allmählich beginnen seine Erlebnisse, sich mit denen des Motorrad-Kuriers Mardar zu verflechten, der sich bei seiner Arbeit für die Halbwelt Shanghais in die junge Moudan verliebt. Man zwingt ihn jedoch, das Mädchen zu entführen. Verstört und enttäuscht flieht sie; Mardar kommt ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung führt ihn die Suche nach seiner großen Liebe zu Gogotänzerin Meimei. In ihr glaubt er Moudan wiederzuerkennen.

Eine aus Rätseln und Träumen geschichtete Filmwelt, ein modernes Märchen, das vertrackter und verrückter kaum zu bauen ist. Doch wer die Herausforderung annimmt, wird reich belohnt, denn die vermeintliche Kopfnuß entfaltet ungeheure Schönheit. Die Fülle von mit Bedeutung knisternd aufgeladenen Motiven - der Fluß, die Meerjungfrau mit den zwei Leben, von denen jedes unmöglich ist - wird behutsam und souverän gehandhabt. Die verschlungenen Handlungsfäden finden mit schlafwandlerischer Sicherheit immer wieder zusammen. Und weil auch der chinesische Regisseur Lou Ye weiß, daß Geschichten sich nicht von selbst berichten, hat er aus dieser Binsenweisheit eine Figur im Spiel gemacht.

Der Erzähler ist in die Geschichte eingeschrieben, er ist der unsichtbare Videofilmer, der Chronist und Liebende, die Kamera zeigt, was seine Augen sehen. Ungewöhnlich und aufregend ist diese Perspektive allemal, noch mehr muß man aber staunen, welche poetische und sinnliche Kraft sie entwickelt.

[ Sylvia Görke ]