Originaltitel: SYNONYMES
Israel/F/D 2019, 123 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Tom Mercier, Quentin Dolmaire, Léa Drucker
Regie: Nadav Lapid
Kinostart: 05.09.19
Der Hahn ist Franzose. Warum? Weil er mutig ist und stark und früh aufsteht. So ein Käse? Kann sein, kann aber auch nicht! Immer wieder verschwimmen in Nadav Lapids SYNONYMES die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, stringenter Erzählung und Gedankenroulette, Hommage an ein Kulturland und Überhöhung. Puristen im Kinosaal gehen hier leer aus. Fein, daß es in diesem Falle so ist! Eingangs beschriebene Szene spielt in einem Integrationskurs in Paris, bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Herren Länder die Marseillaise rezitieren. Es dürfte auch für viele hiesige Zuschauer eine überraschende erste Gelegenheit sein, die deutsche Übersetzung der Hymne zu lesen. Es könnte Verstörung hinterlassen. Verstörung ist für SYNONYMES sowieso ein Rezeptionshinweis.
Yoav kam, wie einst der Regisseur selbst, aus Israel nach Frankreich. Der Militärdienst, wo er nach Noten schießen lernte, hat ihn desillusioniert, dem Druck des Vaters will er entkommen, so etwas wie Identität für sich neu definieren. Bis auf einen eher obskuren Moment wird Yoav kein Hebräisch mehr sprechen, dafür gräbt er sich mit einem Wörterbuch wie gehetzt ins Französische. Anfangs sind es Schimpfwörter wie „böse, obszön, ignorant, idiotisch, schmutzig.“ Er benutzt sie für sein Heimatland. Yoav ist voller Wut, die immerfort Kanäle sucht.
Tom Mercier spielt ihn rasant und bekommt Raum dafür. Denn bis auf ein junges Pärchen, das einem neu frisierten Truffaut-Film entkommen sein könnte, gibt es keine Mit- und Gegenspieler, die es lange mit ihm aufnehmen können. Emile und Caroline sind so kunstbesessen wie verwöhnt und haben Yoav in einer riesigen leeren Wohnung gefunden. Nackt in der Badewanne. „Beschnitten!“, sieht Caroline sofort. Zwischen dem Trio entwickelt sich eine eigenartige Beziehung. Das Wort „Ménage“ trifft es nicht wirklich. Yoav bezieht eine abgewrackte Einzimmer-Bude, hängt eine Postkarte von Napoleon neben die von Kurt Cobain, ißt jeden Tag für 1,28 Euro Nudeln, wird von einem israelischen Sondereinsatzkommando als „kostbares Material“ bezeichnet, während sein leicht degenerierter Kumpel gegen Neonazis losziehen „darf.“
SYNONYMES steht für aufregendes und in jedem Falle streitbares Kino, das sich auch mal versteigen darf. Der beste Film hätte diesmal wirklich gewonnen, schrieb eine Zeitung im Nachgang zur diesjährigen Berlinale. Da ist etwas dran!
[ Andreas Körner ]