D 2019, 125 min
FSK 12
Verleih: Port au Prince
Genre: Drama
Darsteller: Helena Zengel, Albrecht Schuch, Gabriela Maria Schmeide, Victoria Trauttmansdorff
Regie: Nora Fingscheidt
Kinostart: 19.09.19
Gleich mal ganz direkt: Man kommt nicht umhin, SYSTEMSPRENGER, dieser unglaublichen Kinowucht von Nora Fingscheidt, eine ganz ähnliche Schlagkraft wie Xavier Dolans MOMMY zu attestieren. Das ist wahrlich nicht wenig, was man einem Debüt (!) nachsagen kann. Erzählt wird von Benni, eigentlich Bernadette, und es gibt viele „Eigentlichs“ bei dieser Göre – eigentlich ein tolles Mädchen, eigentlich ein sehr sensibles, intelligentes Kind, auf den schnellen Blick eigentlich eine ganz normale, verspielte 9jährige. Wären da nicht diese permanenten, für sie selbst und ihre Umwelt geradezu lebensgefährlichen Ausraster, Tobsüchte, Krampfattacken und Brüll-, Schrei- und Schlagmanöver.
Die Mutter ist überfordert, ein möglicher Vater längst verschwunden, die Behörden haben tatsächlich alles probiert. Nach Antigewalttraining und Traumatherapie sind die noch möglichen Einrichtungen gezählt, im Raum steht mal wieder dieser zerbrechliche Satz der emsigen Jugendamtsmitarbeiterin Frau Banafé: „Dieses Mal muß es klappen ...“ Dann taucht der Schulbegleiter Micha auf, tatsächlich ein Hoffnungsgesandter, einer mit Fehlern, klar, was sonst? Seine Herangehensweise ist tatsächlich eine ganz andere ...
Die Leiden der jungen B. sind für den Zuschauer fast nicht zu ertragen, die Schreie kaum auszuhalten, es rührt einen zu Tränen, wie ein so kleiner Mensch so aggressiv sein kann, wie ein so zartes Wesen doch so früh kaputtgemacht wurde, und er schmerzt regelrecht, dieser Druck auf der Brust, der auch dadurch entsteht, daß Benni sich von einem Tag in den nächsten kämpfen muß und immerzu diese tiefe Muttersehnsucht eben in ihren Möglichkeiten äußert. Wenn man die Mama sieht, weiß man um die Ausweglosigkeit.
Verblüffend an SYSTEMSPRENGER ist auch, daß Nora Fingscheidt nach dieser mutigen Ausnahmetortur sich traut, den Film trotz aller Radikalität auf traurige Weise leicht und umso erschütternder ausklingen zu lassen. Sie hat uns mit diesem Werk über Einsamkeit und Überforderung, Liebesabstinenz und Enttäuschung Augen und Herzen geöffnet, und wohl noch nie haben wir im Kino einen so kämpferischen, einen an sich selbst leidenden Menschen gesehen, der mit derartiger Inbrunst Freude und Zerstörung ausdrückt.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.