Dieser Film spaltet, sogar sich selbst. TABU besteht aus zwei Teilen, die wie ein Geheimnis miteinander verbunden sind, das heißt, sie sind eben nicht verbunden, abgesehen von klaren Schwarz-bildern und dem Namen einer Frau: Aurora. Im ersten Teil ist Aurora eine alte, verarmte Frau im heutigen Lissabon, die aber immerhin noch eine afrikanische Haushälterin hat – eine böse Hexe, wie sie glaubt. Wir erleben beide aus der Perspektive der aufopferungsvollen, katholischen Nachbarin, die selbst ziellos durchs Leben treibt. Worum geht es in dieser Konstellation? Schwer zu sagen. Zunächst scheint es in Richtung Glauben und Aberglauben zu gehen, dann fokussiert die Handlung immer mehr auf die sterbende Aurora, die nun von ihrem Krokodil fantasiert.
Im zweiten Teil erleben wir Aurora als junge Frau auf einer Farm in Afrika, wo sie als die beste Großwildjägerin des Kontinents auftritt. Das schützt sie nicht davor, sich kopflos in einen Filou zu verlieben, der in der Nachbarschaft in einer etwas schrägen Schlager-Band spielt, und mit dem sie, obwohl schwanger von ihrem Mann, eine leidenschaftliche Affäre beginnt. Das Krokodil als Zeichen der ungezähmten Liebe läuft immer zwischen beiden hin und her.
Es folgt eine lange, mäandernde Afrika-Romanze, die formal vorgibt, eine große Distanz zu den gängigen Schmonzetten dieses Genres oder sogar Kritik am Kolonialismus zu haben, während sie eigentlich nur umständlich erklärt, warum die Aurora der ersten Handlung Schuld auf sich geladen hat. Eine Person wird aus den zwei Auroras trotzdem nicht.
Das ist schade, denn der erste Teil überzeugt durch seinen lakonischen Humor à la Kaurismäki, seine melancholische Grundstimmung und eine entzückend subtile Inszenierung. Im zweiten Teil dagegen verstummen die Dialoge, was zunächst noch stilistisch ungewöhnlich erscheint, doch bald übernimmt eine Erzählstimme im Stile Truffautscher Literaturverfilmungen – und zerredet jegliches Interesse. Miguel Gomes, der als neuer Stern am portugiesischen Kunstfilmhimmel gefeiert wird, läßt sich stets alle Erzähltüren offen, was man nun als Meisterwerk der offenen Form bezeichnen kann, wie zur Berlinale geschehen, oder aber auch als Schlaftablette.
Mit Bravour zeigt Gomes, daß er sowohl Kaurismäki als auch Truffaut kann und sogar Murnaus ethnografisches Stummfilmabenteuer TABU – A STORY OF THE SOUTH SEAS verinnerlicht hat. Dazwischen verirrt er sich im Niemandsland.
Originaltitel: TABU
Portugal/D/F/Brasilien 2012, 111 min
FSK 0
Verleih: Real Fiction
Genre: Drama, Episodenfilm
Darsteller: Teresa Madruga, Laura Soveral, Ana Moreira
Regie: Miguel Gomes
Kinostart: 20.12.12
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...