Originaltitel: TWO MOTHERS
F/Australien 2013, 112 min
FSK 12
Verleih: Concorde
Genre: Drama, Liebe, Literaturverfilmung
Darsteller: Robin Wright, Naomi Watts, Xavier Samuel, James Frecheville, Ben Mendelsohn
Regie: Anne Fontaine
Kinostart: 28.11.13
Die Hitze flirrt. Kein Wunder, wir befinden uns an der australischen Küste. Dort wohnen zwei engste Freundinnen besten Alters – Witwe die eine, in kalter Ehe gefangen die andere. Man hat einander und die Söhne, fast Brüder. Wie so oft zogen sich Gegensätze an, Lil ist gutmütig, etwas naiv, Roz eher zur Anführerin geboren. Eines Abends nun folgt der Knall: Lils Sproß Ian küßt Roz, und nach knapper Gegenwehr erwidert die Quasi-Tante diese Annäherung. Was sich sozusagen als Startschuß für Roz’ Jungen erweist, Lil seine Zuneigung anzutragen. Ausgehungert fällt das Doppelpärchen übereinander her, beginnt eine vorerst körperlich geprägte Vierecksbeziehung. Zwischen Liebe, Erregung und festgehämmerten Moralfragen wächst ein problemfundamentiertes Kartenhaus, bald zittert es, bekommt Schieflage, schwankt bedrohlich ...
Wie gut, daß hier keine verklemmte Regisseurin jeden Tag verschämt zum Set schlich, um durch allerhand Erklärungen das Tabu aus solcher Story zu wispern. Nein, auf dem Stuhl saß die französische Kampfeslust Anne Fontaine, und nicht umsonst lobt Naomi Watts deren Stil als Verzicht auf „Herumeiern.“ Knackige Bebilderung, klarer Szenenaufbau, fertig. Da zieht Drehbuchautor Christopher Hampton kongenial mit, beschränkt das Geschehen auf wenige Schauplätze, sucht erst gar keine Ausflüchte. Die Burschen sind sixpackniedlich, ihre Mütter schön und einsam, warum also nach Motivation forschen? Und knisterte gerade auf männlicher Seite beim Knuffen oder Kabbeln nicht sowieso homoerotische Anziehung, deren indirekter Vollzug unvermittelt in greifbare Nähe rückt? Antworten muß der Zuschauer schon allein finden, lieber wird die gewonnene Zeit investiert, um Charaktere unters Mikroskop zu legen.
Denn natürlich weiß Hampton, daß ein deutlicher Unterschied zwischen „wahrscheinlich nicht“ und „natürlich nicht“ besteht. Eine winzige Differenz des Sprachgebrauchs, welche allerdings über ganze emotionale Kontinentalverschiebungen entscheiden, in finaler Konsequenz gar Welten zerstören kann. Zum Beispiel, wenn die abgeschottete Existenz auf einer Gefühlsinsel Störungen ereilt, externe Verführungen auftauchen, und das große Glück plötzlich zur Unmöglichkeit gerät. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Nur: Wer entscheidet über jenes Dürfen oder glaubt zumindest, das Recht dazu zu besitzen? Nur einer von unzähligen Subtexten, deren bei einmaliger Betrachtung unmöglich vollständige Erfassung eine Mehrfachsichtung zwingend nötig macht.
Auch dieses Ringen, das Abschalten des Herzens zu Gunsten rationaler Entscheidungen betten Hampton und Fontaine großartig in die Unterschiedlichkeit beider Frauen ein: Während Lil auch mal verzweifelt weint, Eifersuchtsattacken abwehrt, schaltet Roz versuchsweise auf Leerlauf, läßt frühere Nikotinsucht aufflackern und schützt ihre empfindlichsten Körperteile – die Augen – durch eine Sonnenbrille. Beide Mütter sind später hingebungsvolle Omas, an der tief drinnen schwelenden Leidenschaft ändert jenes familiäre Altersnachrücken indes nix.
So mögen zwar punktgenau inszeniert, gespielt, montiert tatsächlich nur 112 Minuten zeitrafferartig skizziert vergehen, aber dort am Strand entfalten Leben das volle Programm komplexen menschlichen Daseins. Und über allem flirrt weiterhin die jetzt um einige Grad erhöhte Hitze.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...