Was nur ist mit Antoine los? Von einem Tag auf den anderen scheint der sich vom sympathischen Familienvater zum aggressiven Kotzbrocken verwandelt zu haben. Und mag das anfänglich noch wie der durchaus verständliche Überdruß an maskenhafter Höflichkeit etwa gegenüber der bornierten Schwiegermutter oder einem penetranten Kunden in Antoines Werbeagentur anmuten, entpuppt sich dieses Benehmen doch zusehends als boshafter Rundumschlag, der auch vor seiner Frau und den Kindern nicht halt macht. Der Strom aus brutalen Wahrheiten und ätzendem Hohn, den Antoine über seine Mitmenschen ausgießt, scheint diesen selbst in den Untergang zu reißen. Bei der Party zu seinem 42. Geburtstag kommt es endgültig zum Eklat. Seine Gäste provoziert Antoine bis zur Schlägerei, seine Frau kränkt er auf eine Weise, die irreparabel für ihre Beziehung ist.
Da geht sich einer scheinbar selbst verloren. Da kappt einer aus heiterem Himmel alle Stricke, an denen sein Leben bisher langbalancierte. Und das auf eine Art, die nichts anderes als endgültig sein kann. Das bisherige, glückliche Leben, ist jetzt verbrannte Erde. Mit DIALOG MIT MEINEM GÄRTNER stellte sich der Regisseur Jean Becker als ein Melancholiker mit sonnigem Gemüt vor. Davon ist TAGE ODER STUNDEN weit entfernt. Zumindest, das sei verraten, in seiner ersten Hälfte. Becker installiert mit der Figur des Antoine einen Berserker, wie man ihn im Kino lange nicht sah. Ja, man fragt sich, was das Geheimnis hinter dieser Explosion Antoines ist. Und ja, man ist schockiert und fasziniert zugleich davon. Denn dieser Antoine zeigt uns, wie eng verschnürt man ist in den Konventionen des Miteinander. Und wie zerstörerisch dabei das einfache Prinzip ist, allen und jeden nur noch die Wahrheit zu sagen.
Wahrheit und Endgültigkeit – das ist es dann auch, was Becker in TAGE ODER STUNDEN abhandelt. Ein Film, der so klar und simpel ausbalanciert ist mit seiner Wendung, die er nimmt, daß man mit jedem Wort zur Handlung Gefahr läuft, zu viel zu verraten. Nur das sei noch gesagt: Man kann TAGE ODER STUNDEN leicht und auch mit Recht vorwerfen, zum Finale hin zu kalkuliert auf Rührung und Ergriffenheit zu setzen, zu sehr zu überrumpeln mit dem effektvollen Kontrastieren zwischen Ende und Anfang dieser Geschichte. Doch ist es zugleich auch schön zu sehen, daß Becker sich eben nicht zum knurrigen Misanthropen wandelte, sondern der alte Melancholiker blieb. Wenn auch um einiges weniger sonnig.
Originaltitel: DEUX JOURS À TUER
F 2008, 85 min
Verleih: Arsenal
Genre: Drama
Darsteller: Alessandra Martines, Albert Dupontel, Marie-Josée Croce
Regie: Jean Becker
Kinostart: 30.04.09
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.