Er lächelt sie an, doch hinter seinen dunklen Augen wohnt derzeit die Traurigkeit. Elsa sieht dies nicht, sie ist in Partylaune, ihre Dissertation der Kunstgeschichte ist erfolgreich verteidigt, jetzt wird gefeiert. Doch bereits am nächsten Tag herrscht Katerstimmung. Nicht, weil zu viel Prosecco geflossen ist, sondern weil Michele die Hosen heruntergelassen hat: Er ist nicht mehr Geschäftsführer seiner Firma, er ist gar nichts mehr in seiner Firma, sein Partner hat ihn rausgetrickst. Seit zwei Monaten schon übt sich Michele in kreativer Täuschung. Und Elsa kann gar nicht - wie sonst üblich im italienischen Film - die ganze Palette an Entsetztheiten, an Wut und Hysterie vom Stapel lassen, sie ist einfach müde. Und enttäuscht, daß sich Michele gerade ihr nicht anvertraut hat, dabei wollte er sie nur schützen, Elsa ist so matt darüber, daß sie kaum mehr Worte findet als "Es ist spät."
Am nächsten Tag wird klar Schiff gemacht, die geplante Reise nach Kambodscha fällt aus, der Kontostand taugte auch schon zu froherer Kunde, die lässig ausgelebte Bürgerlichkeit bekommt Risse. So große Risse, daß sogar die schicke, stuckversetzte Altbauwohnung in einem der besseren Viertel Genuas zur Disposition steht. Das erhoffte Far Niente im Irgendwann rückt nun in ganz weite Ferne, die Streitigkeiten nehmen zu, die Verletzungen werden arger ...
Silvio Soldini ist mit diesen Szenen einer Ehe ein ganz und gar faszinierender, ja ein zutiefst humanistischer Film gelungen, der mit großem Geschick Facetten eines geprüften Lebens miteinander verwebt, der komplett geerdet ist und auf vielen Ebenen davon erzählt, wie schnell ein Schiff in Sturm geraten kann. Sein Michele ist verwundet, auch in seinem gut verpackten Machismo, er ist nicht mehr der Versorger, das Alphatier, sein Rudel droht auseinander zu fallen. Michele hat nicht mehr die Kontrolle, er schämt sich, sogar vor seiner Tochter, er scheint mit einem Stigma versehen - Versager! -, und selbst auf der kleinen Yacht Izmir pappt ein Schild "Da vendere!" Er will nicht unter einem 15 Jahre jüngeren Chef arbeiten, er kann einfach nicht mehr jede Stellung annehmen. Seine Frau schon, sie verdingt sich auch komplett unter ihren Fähigkeiten in einem Callcenter und als Sekretärin. Sie tut eben etwas. Da bleibt es nicht aus, daß sich die Frage stellt, in welcher Welt sie vielleicht glücklicher wäre: in der des neuen Chefs, der Verträge im perfekten Englisch mit Hongkong macht, ein junger Heißsporn, im Anzug geboren, oder eben bei Michele, der - weil die neue Wohnung zu klein ist - platzökonomisch und kleinbürgerlich Pfandflaschen schreddert.
Es ist wie oft bei Soldini die Frau, die Stärke und kaum Larmoyanz beweist, die auch mal auf ihren Stolz pfeift, ohne gleich zur Lichtgestalt, zur Ikone zu werden. Elsa reagiert einfach, sie ist lebensfähiger als Michele. Wenn auch sie den typischen Begleiterscheinungen schwindenden Wohlstands ohnmächtig gegenübersteht: Freunde, die sich verabschieden oder komplett ohne Gruß verschwinden, Bekannte, denen man mal Geld geborgt hat und die das als längst zurück gezahlt erinnern ... Eine durch und durch menschliche Sicht auf die Dinge hat Soldini zweifelsfrei, weil sein Film ohne Umschweifen bekennt, daß jeder Mensch Bestätigung, Streicheleinheiten, Egopflege, also Erfolgsgeschichten braucht. Darauf erbaut sich Würde, und die wird gerade in Elsas und Micheles Leben mit Füßen getreten. Soldini sagt eben nicht höhnisch: "Ätsch! Vorbei Du schöner Traum des Nichtstuns!" - er fühlt mit, er interessiert sich ernstlich für das Paar. Da werden neben länger zurückliegenden Verwundungen in der Ehe subtil auch ganz aktuelle gesellschaftliche Brandsätze in den Fokus geschoben: das Verscherbeln von Moral, die latent drohende Altersarmut, das mittlerweile selbstverständliche Jonglieren mit ekelerregende Begriffen wie Humanpotential. Soldini, der große versierte Geschichtenerzähler, zitiert dabei nicht aus dem Ethiklehrbuch, sondern beobachtet mit genauem Blick, mit viel Feingefühl und einem enormen Gespür für die richtigen Bilder: Auch wenn Michele derzeit selbst vom Leben geprüft wird, findet er die Zeit, seinen sich geistig langsam von der Welt verabschiedenden Vater in ein Ozeaneum zu begleiten - ein schönes Bild von zwei traurigen Männern vor dem scheinbar sorglosen Gleiten der Großfische.
Soldini hat aber auch mit Antonio Albanese und der unvergleichbaren Margherita Buy die richtigen Schauspieler gefunden. Nur eine wie die Buy, der so gar nicht archetypische Superstar des italienischen Kinos, kann Sätze sagen, die eines gewissen Humors nicht entbehren und dennoch tief berühren: "Das ist nicht gerade die beste Phase meines Leben!"
Originaltitel: GIORNI E NUVOLE
talien/CH 2007, 115 min
Verleih: Movienet
Genre: Drama
Darsteller: Margherita Buy, Antonio Albanese
Regie: Silvio Soldini
Kinostart: 09.10.08
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.