Als Noah einst Gottes Stimme hörte, die ihm verkündete, es werde bald eine große Sintflut auf die Erde niedergehen, sie reinwaschend von ihrer Sündhaftigkeit, ergo den Menschen, zweifelte der Angesprochene keine Sekunde an seinem Verstand. Vielmehr befolgte Noah umgehend auch alle weiteren göttlichen Instruktionen, deren wichtigste den Bau der Arche betraf. Wie die Geschichte endet, weiß man.
Curtis LaForche ist ein stiller, bodenständiger Mann. Er lebt in einer Kleinstadt, arbeitet auf dem Bau, bewohnt ein Haus, dessen Hypothek er langsam abstottert. Er hat Freunde, ist respektiert. Samantha heißt seine schöne Frau, Hannah die kleine Tochter. Daß diese taubstumm ist, nimmt Curtis als eine jener zu meisternden Prüfungen, die eher das Leben als Gott bereithält. Wie die meisten Menschen in seinem Umfeld ist Curtis gläubig, aber diesen Glauben handhabt er wie sein ganzes Leben: still und bodenständig. Bis zu dem Tag, an dem plötzlich diese Visionen kommen, furchtbar intensive Träume. Schwarze Regenwolken ziehen darin auf, ein Sturmwind hebt an. Vögel fallen tot aus dem Himmel. Einmal nähern sich bedrohlich Menschen, pressen sich verschwommene Gesichter an die Scheibe des Pick-Up, reißen Hände brutal an Hannah, wird Curtis von seinem sanften Hund wie tollwütig angefallen. Der Arm, in den das Tier sich im Traum verbiß, schmerzt Curtis auch noch, nachdem er schon lange schweißgebadet aus diesem erwachte.
TAKE SHELTER ist ein rätselhafter, ein ungewöhnlicher Film. Was geschieht hier mit Curtis? Wird er wahnsinnig, wie seine Mutter, die Jahrzehnte zuvor an Schizophrenie erkrankte? Oder ist da doch etwas anderes? Die Vorahnung einer Apokalypse, eine vielleicht göttliche Warnung in Alptraumform? Regisseur Jeff Nichols suggeriert diese Fragen so geschickt, wie er sich einer Positionierung dazu verweigert. Das gibt seiner Geschichte eine sehr feinnervige Spannung, die, bloß damit kein Mißverständnis aufkommt, mit religiös verbrämtem Mystery-Humbug absolut nichts gemein hat. Dieser Film tut und ist nicht klüger als sein Held. Und der ist kein Idiot.
Ganz konkret beobachtet TAKE SHELTER vor allem erst einmal ein Abdriften aus der psychischen und sozialen Stabilität, dem Korsett der Sicherheit, wenn Curtis, der seine Pein lange vor seinem Umfeld verborgen hält, für dieses immer befremdlicher, beängstigender auch, handelt. Der geliebte Hund, der erst eingesperrt, dann weggeschenkt wird, markiert nur den Anfang einer Situation, die auf die Eskalation zusteuert, als Curtis beginnt, mit von seinem Arbeitsplatz entwendeten Maschinen seine Arche, einen Schutzbunker im Garten, zu bauen. Zunehmend beklemmend geraten da die Szenen. Curtis verliert den Halt, seine Freunde, den Job, vielleicht Frau und Tochter – aber verliert er auch tatsächlich den Verstand? Alles deutet darauf hin, doch die Interpretation obliegt weiterhin konsequent dem Zuschauer.
Da ist TAKE SHELTER ein erstklassiger Balanceakt, gipfelnd in einem düsteren Bunkerfinale und einem beunruhigenden und kühnen Schluß, den man nicht so schnell vergessen wird.
Originaltitel: TAKE SHELTER
USA 2011, 125 min
FSK 12
Verleih: Ascot
Genre: Drama, Thriller, Mystery
Darsteller: Michael Shannon, Jessica Chastain, Toya Stewart
Regie: Jeff Nichols
Kinostart: 22.03.12
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.