Originaltitel: FINDING YOUR FEET
GB 2017, 111 min
FSK 0
Verleih: Entertainment One
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Imelda Staunton, Celia Imrie, Timothy Spall, Joanna Lumley, David Hayman
Regie: Richard Loncraine
Kinostart: 31.05.18
Es wäre angeraten, Sandra mal den Stock aus bestimmten, sehr intimen Körperteilen zu ziehen. Die – wegen des von einem Adelstitel gekrönten Gatten Mike im Wortsinne – Lady stakst nämlich mit reichlich hohem Näschen daher, hat dem seit 35 Jahren angetrauten Mann vieles geopfert, hält das allerdings für vollkommen okay und blauen Lidschatten für das Nonplusultra an Sexiness. Die Freundin besticht hingegen durch ein Dekolleté zum Mitten-Reinfallen. Mike blieb das nicht verborgen, er taucht regelmäßig hinab in die üppige Fülle. Schon längere Zeit.
In flagranti erwischt, bohrt sich das Techtelmechtel nun selbst der wohlstandsblinden Sandra ins brechende Herz, was zur angedrohten Scheidung nebst sofortiger Ortsflucht führt. Mangels anderer Optionen fällt die Wahl auf Bif, umweltaktivistische Arbeiterviertel-Schwester, dazu tief vernarbter Single aus Prinzip, rebellische Frohnatur und Teilnehmerin an einem Tanztreff rüstiger Senioren. Als dessen Neuzugang wird, von Bif gezwungen, bald Sandra begrüßt. So schwingt jetzt eine verknöcherte Spaßbremse, die alles „Bloody“, auf gut Deutsch folglich scheiße, findet und das entsprechend unablässig artikuliert, ihr bestenfalls eingerostetes Tanzbein. Und erregt umgehend Aufmerksamkeit beim knarzigen Charlie ...
Total auf Nummer Sicher steht dem sowieso recht linearen deutschen Titel die Unterzeile „Manchmal gibt das Herz den Takt vor“ zur Seite – völlig unnötig eigentlich, das hübsche Original FINDING YOUR FEET trifft den Ton besser, schließlich muß Sandra nicht nur auf dem Parkett ihre lang weggesperrten Füße sortieren, sondern eben auch im muffig-behaglich eingerichteten Leben neue Wege gehen. Sich emotional entkrusten. Dies geschieht zugegebenermaßen ohne Verwunderliches oder heftig Verblüffendes, außerdem richtet sich das Ganze wohl kaum an die nachgewachsene Generation ADHS, weshalb manches Aussprechen des Offensichtlichen verzichtbar bleibt: „Get Off Your High Horse And Start Treating Other People With Some Common Manners!“ Ernsthafte Qualitätseinbußen sind trotzdem nie zu befürchten, zumal Sandras Späterblühen bestens unterhält: hier ein entspannungsfördernder Joint, dort das – tatsächliche! – Werfen ins eiskalte Wasser, besonders memorabel ein von Charlie verübter wilder Verkehrsregelverstoß. Da strahlt das Dauergrinsen wie festgeklebt im Gesicht. Zumindest, wenn nicht gerade in anspruchsvollerer Gegengewichtsfunktion Krankheiten breite Themenfelder besetzen. Ob Bif oder Charlie, das Schicksal warf bereits Steine und hob die dicken Brocken fürs zwangsläufige Ende auf; daß jenes jeden Tag kommen könnte, verdrängt man gern und leicht. Der hiesigen Erinnerung ans Carpe diem, dem Anmahnen genutzter Chancen und gehobener Hintern mangelt’s erneut nicht an Deutlichkeit, sie findet diesmal jedoch zu einiger Balance.
Unmöglich, die Darsteller zu vergessen: Eine gereift noch schönere Joanna Lumley taucht sporadisch auf und trägt den knackigsten Spruch zu Mann und Gott bei, während an vorderer Front Imelda Staunton, Celia Imrie sowie Timothy Spall ihren Figuren individuelle Freiräume schaffen. Keine Megastars, bunte Tratsch-Gazetten bevölkernden Namen, dafür einprägsame Charaktergesichter, große Schauspieler, denen man ohne Zweifel abnimmt, daß sogar ältere Damen dem Glück zuweilen wirklich nachlaufen. Natürlich etwas gelenksteif und – weit weniger selbstverständlich – hin zu einem wundervollen finalen Bild.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...