Maria Speth beschäftigt sich in ihren Filmen immer wieder mit der Beziehung zwischen Eltern, im Speziellen Müttern, und deren Kindern. Dabei sind es vor allem die nicht zu verbergenden „Beschädigungen“, die Speth interessieren.
Agnes wird zur Identifikation einer Leiche nach Berlin beordert. Es stellt sich heraus, daß die junge Tote nicht Lydia, ihre 15jährige Tochter, ist. Agnes hofft nun, daß sie Lydia irgendwo begegnen könnte, deshalb begibt sie sich auf die Suche und zieht durch Berlins Straßen, nähert sich Orten, an denen sie plötzlich ganz Außenseiterin ist und auffällt mit ihrer wohl sortierten Bürgerlichkeit. Dann übermüdet und angetrunken im Auto; plötzlich ein Aufprall. Eine junge Frau platzt in ihr Leben – Ines, laut, unverschämt, fordernd. Die Streunerin nistet sich in Agnes’ Hotelzimmer ein. Eine neutrale Bühne, eine Durchgangsstation, der Ort der Handlung, an dem sich eine Mutter und eine Tochter begegnen und in ganz ähnliche Mechanismen verfallen wie in „realen“ Verwandtschaftsverhältnissen. Dabei fällt auf, daß Agnes keine Schwächen zeigen, nur ganz wenig liebevoll agieren kann. Fast verkarstet erscheint sie, eingeschlossen in ihren Ängsten, während Ines übergrifflich und impulsiv agiert. Eine echte Annäherung zwischen den beiden Frauen findet nur in Abwesenheit der anderen statt, man berührt sich im Schlaf, durchsucht Notizen und Koffer, sammelt Informationen, probiert Kleider. Offene Worte und Gesten führen zur Konfrontation, Normalität ist nicht möglich. Aber welche Normalität?
Maria Speth hinterfragt ganz unsentimental die Rollenmodelle der einstudierten Familienstrukturen, die um Achtung, Gehorsam und Macht kreisen, letztendlich aber in Ohnmacht münden. Weil wir eben niemanden besitzen können. Corinna Kirchhoff als Agnes und Kathleen Morgeneyer als Ines bieten ein ergreifendes Spiel, schaffen eine verstörende Begegnung mit dem Phantombild von Tochter und Mutter – denn mehr ist es nicht, was ihre Figuren miteinander teilen: die jeweilige Vorstellung von der Geschichte der anderen. Mehr haben aber viele Mütter und Töchter auch nicht gemein, weil ihnen die Kommunikation abhanden gekommen ist, oder die Liebe nicht gereicht hat.
Vielleicht, weil es auch sowieso ein Mythos und eine Last ist, diese ganze Sache mit der Mutterliebe, die beide „Parteien“ so verloren erscheinen läßt. Speth erzählt all das à la Berliner Schule: unaufgeregt, in unsentimentalen Bildern, ohne Schuldzuweisung und ohne Happy End.
D 2014, 92 min
FSK 12
Verleih: Peripher
Genre: Drama
Darsteller: Corinna Kirchhoff, Kathleen Morgeneyer
Regie: Maria Speth
Kinostart: 11.09.14
[ Susanne Schulz ]