Originaltitel: TEA WITH THE DAMES

GB 2018, 84 min
FSK 0
Verleih: KSM

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: Roger Michell

Kinostart: 25.04.19

3 Bewertungen

Tea With The Dames

Viermal Persönlichkeit im Überfluß – ein extraklassiges Schausitzen

Ernennt das britische Königshaus eine Schauspielerin für ihre Verdienste zur Dame (weibliche Form des Ritters, kompletter Titel „Dame Commander Of The Order Of The British Empire“), ist jene vollkommen aus dem Häuschen. Richtig? Na ja ... Judi Dench freute sich ausgiebiger drüber, daß sie ab dato noch mehr fluchen durfte. Eileen Atkins mußte überlegen, die Ehrung zu akzeptieren, und sanft gedrängt werden. Joan Plowright unterwarf sich praktisch gewissem Gruppenzwang, und Maggie Smith wäre lieber eine Lady. Ausladende Euphorie? Sieht anders aus.

Paßt aber gut zum – mit höchstem Respekt – Quartett alter Showbusineßpferde, die nix aus den Hufeisen haut, weil sie in prallen Leben sämtliche denkbaren Hürden genommen, Glücksfüllhörner geleert, Trauerschleifen gebunden und Jubelanzeigen aufgegeben haben. Privat ebenso wie auf der Bühne und im Kino. Als sich die Freundinnen mal wieder zum kommunikativen Austausch treffen, surren Kameras. Vor diesen sitzen addiert 342 Jahre, davon etwa 250 auf vier Karrieren verteilt, 130 Filmpreise inklusive, unzählige Theaterauszeichnungen kommen hinzu. 342-250-130 statt 90-60-90, die Damen bestachen schon in jungen Jahren eher durch Ausstrahlung und Individualität denn Modelmaße plus Covergesichter. Eins der weiten Themenfelder, die folgend der Beackerung harren.

Offensichtlich seit Ewigkeiten Vertraute laden zum Plaudernachmittag, es herrscht anregender Funkenflug zwischen total unterschiedlichen Persönlichkeiten: Dench wirft beim Lachen ihren Kopf in den Nacken, kostet Gefühle aus, auch Zorn wegen eines nach Hornissenstich in intime Körperstelle gönnerhaft auftretenden Sanitäters. Ein Bauchmensch, NOTTING HILL-Regisseur Roger Michell erfährt’s deutlich auf die Bitte hin, übers Altern zu erzählen: „Fuck Off, Roger!“ Plowright hingegen, erblindet, wirkt fragiler, fängt sensibel emotionale Schwingungen auf. Atkins zeigt sich zurückhaltend, ein engagiert-stilles Wasser, berichtet vom Protestmarsch wider den Vietnamkrieg an Vanessa Redgraves Seite – welchen sie verließ und auf dem Heimweg Hefekuchen kaufte. Smith schließlich sticht hervor und oft zu, sarkastisch, scharf, teils grimmig; manchem ohne Netz, doch mit mindestens einem doppelten Boden rausgehauenen Spruch sollte besonders abklopfende Aufmerksamkeit gewidmet sein. Darunter ihrem Kommentar zur von Laurence Olivier in OTHELLO anscheinend voll donnernder Ernsthaftigkeit empfangenen Ohrfeige: „It Was The Only Time I Saw Stars At The National Theatre.“

Auf amüsant-intelligentem Bestniveau rast die Zeit vorbei, man möchte viele Momente festhalten, neuerlich anschauen, zuhören, im Wissen, daß hier gediente Darstellerinnen nicht nur Erinnerungen austauschen. Es besteht nie ein Zweifel daran: Jede mimt ihre perfektionierte Paraderolle – sich selbst, dem Auditorium in rechtem Licht präsentiert. Trotzdem verdunkeln partiell Schatten die Gesichter, büßen Stimmen Lautstärke ein, kriecht Wehmut heran. Verluste, der Tod, abseits aller Öffentlichkeit erlittene Einsamkeit laden eben kaum zum Wegschmunzeln ein. Weshalb diese äußerlich fraglos unscheinbare Doku (beredtes Sitzen, erwähnenswerte Bewegung provoziert allein eine Flucht vorm Regen) die Quintessenz des Kinos herausarbeitet: Wahrheit und Lüge – im Sinne von Illusion – koexistieren friedlich, bieten einander Halt und Nahrung, idealerweise reicht das Bündnis bis zum Inneren des Betrachters. Und hinterläßt dort tiefe Spuren.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...