Seit den 60er Jahren reifte das Projekt einer abendfüllenden Reihenschaltung von Kurzfilmen namhafter Regisseure. Eben jene, allesamt Aushängeschilder des anspruchsvollen Autorenfilms, folgten endlich dem Ruf und werden sich vielleicht sogleich die Haare gerauft haben. Denn der konzeptuelle Rahmen gestand ihren Meditationen über das Thema "Zeit" nur jeweils zehn Minuten zu.
Daß ein Meister des Minimalismus diese geizige Zuteilung für eine veritable Liebesgeschichte mit Hochzeit sowie der entsprechenden Reise zu nutzen weiß, überrascht nur auf den ersten Blick. Aki Kaurismäki, der stilistisch versierte Lakoniker, setzt virtuos ein, was man von ihm kennt und mag: spröde Komik, Melancholie und eine Großstadtfarbigkeit, die sich im Gedächtnis immer in Graustufen ablagert. In wirklichem Schwarz-Weiß bebildert hingegen Víctor Erice seine etwas wolkige Metapher auf drohendes Grauen durch Vernichtung und Krieg, auf die unendliche Dehnbarkeit der Zeit. Während mit dem Blutfleck auf dem Bauch eines Neugeborenen der Tod heraufzieht, geht der Rest der Großfamilie ahnungslos seinem Tagwerk nach. Der plätschernde (Zeit-) Fluß zwischen den Episoden, eine etwas einfältige visuelle Klammer, muß wohl als allerkleinster Nenner für die Vielstimmigkeit des Ganzen gelten: Diese Essay-Kompilation, schon zu Anfang des Reigens vom Trompeter aus dem Off als Kakophonie beargwöhnt, erfüllt schlicht den Tatbestand einer Wundertüte.
Neben beachtlichen Standards tummelt sich Lehrreiches wie die kritisch-dokumentarischen Beiträge von Herzog und Lee, im weitesten Sinne Drogenpolitisches wie Wenders’ halluzinatorischer Horror-Road-Trip TWELVE MILES TO TRONA, in dem ein Mann sich die Überdosis von irgendwas aus dem Magen pumpen lassen will.
Für den schmucken Ramsch sorgt Jim Jarmuschs aufgeblasenes inhaltliches Nichts INT. TRAILER NIGHT, in dem - zusammengefaßt - eine Schauspielerin ihre Drehpause vertelefoniert. Immerhin sicherte sich Chloë Sevigny damit einen Platz auf der Celebrity Smoking List.
Wie immer lauert der Schatz ganz am Boden: in 100 FLOWERS HIDDEN DEEP öffnet Chen Kaige ein Fenster zu einer in der Vergangenheit versunkenen Welt.
Originaltitel: TEN MINUTES OLDER - THE TRUMPET
D/GB 2002, 91 min
Verleih: Ottfilm
Genre: Kurzfilm
Regie: Aki Kaurismäki, Víctor Erice, Werner Herzog, Jim Jarmusch, Wim Wenders, Spike Lee, Chen Kaige
Kinostart: 26.12.02
[ Sylvia Görke ]