Der hagere Körper übergebeugt, der Kopf auf dem dünnen Hals vorgereckt, die Arme schwingen weit. Alfonso Bauer Paíz kann vor keiner roten Ampel warten, ohne ungeduldig herumzuhüpfen. Er hat dringende Termine. Irgendeiner hier in Guatemala-Stadt oder Latein-Amerika braucht immer einen guten Anwalt, der nichts kostet. Bauer Paíz tippt seine Vermerke und Eingaben auf einer alten Schreibmaschine. Er trägt seine Akten in einem Beutel, der von seiner Schulter baumelt. Der Beutel ist mit kleinen blauen Eseln bedruckt. Der Esel ist der, der nie aufgibt und gegen die Zeitläufe und Gewalten iaht.
Bauer Paíz, 84 Jahre alt, Intellektueller, Freimaurer, Anwalt und kommunistischer Realo, ist der älteste Abgeordnete im Parlament von Guatemala. Es ist der gleiche Mann, der 1944, einige Diktaturen früher, der jüngste Abgeordnete des revolutionären Guatemala war. Seitdem hat er drei Attentate überlebt, vier Exile und auch die meisten seiner Kinder. In Allendes Chile, Castros Kuba, dem Nicaragua der Sandinos berät er Minister und Bauern, plant Reformen und setzt sie um. In Mexiko versteckt er sich als Verkäufer in einer Würstchenbude, und ein paar Etagen höher versteckt er seinen Freund Che Guevara auf dem Dachboden. Da oben läßt der Che immer die Bücher rumliegen und macht Unordnung. Bauer Paíz dagegen pocht auf penible Ordnung in seinem Oberstübchen: Revolution braucht Disziplin. Der Esel ist der, dem es recht ist, daß er grau ist und nicht das beste Pferd im Stall. So kann er länger leben und unbehelligt rackern für das, wofür er lebt.
TESTAMENTO, der abendfüllende Dokumentarfilm der deutschen Regisseure Uli Stelzner und Thomas Walther porträtiert den ewigen Wanderer der lateinamerikanischen Revolution ohne Gitarren und Pulverdampf. Erst der nüchterne Erzählduktus des Films macht die Ruhelosigkeit des Revolutionärs spürbar. Wieder und wieder hetzt Alfonso Bauer Paíz durchs Bild, flitzt der ruhigen Kamera davon. Denn der Mann mit der Esel-Tasche hat ja noch einen Termin. Der Esel taugt nicht zum Heiligen der Revolution. Er taugt nur für die Revolution.
D 2003, 95 min
Verleih: Neue Visionen
Genre: Dokumentation
Stab:
Regie: Uli Stelzner, Thomas Walther
Drehbuch: Uli Stelzner, Thomas Walther
Kinostart: 22.01.04
[ Christian Seichter ]