Anwar Congo ist ein schneidiger älterer Herr, der sich gern elegant kleidet und gut in Form ist, sowohl körperlich als auch mental. Liebevoll spielt er mit seinen beiden Enkelsöhnen und erklärt ihnen geduldig, daß sie die Enten im Park nicht quälen dürfen, da es schließlich fühlende Wesen seien. Im nächsten Moment prahlt derselbe nette alte Mann vor den Augen der Kinder damit, vor fast 50 Jahren hunderte Kommunisten eigenhändig getötet zu haben. Denn Anwar Congo ist ein Massenmörder. Einer, der nie für seine Taten angeklagt wurde. Im Gegenteil, er wird für seine „Verdienste“ gefeiert und ist stolz, seinen Beitrag für sein Land geleistet zu haben.
Als in Indonesien 1965 die demokratisch gewählte kommunistische Regierung durch ein Militärregime gestürzt wurde, sollten alle vermeintlichen Feinde des neuen Regimes ausgemerzt werden. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als eine Million Menschen umgebracht. Anwar und seine Freunde, die bis dahin als Kleinkriminelle Kinokarten auf dem Schwarzmarkt vertickten, wurden zu Führern von Todesschwadronen, die Massaker an tausenden Indonesiern chinesischer Herkunft und Intellektuellen verübten. Heute wird Anwar als Gründungsvater einer rechten Paramiliz verehrt, die beste Verbindungen bis in die höchsten Regierungskreise pflegt.
Joshua Oppenheimer hat für die filmische Auseinandersetzung mit Anwar und dessen Komplizen, die allesamt auf der Siegerseite der Geschichte zu Ruhm und Reichtum gelangt sind, ein außergewöhnliches, extremes Gestaltungsmittel gewählt. Er läßt die eitlen Kriegsverbrecher ihre Morde von damals nachstellen. Die Form dürfen sie selbst bestimmen. Jeder der Männer outet sich als großer Verehrer des amerikanischen Kinos, und so sind ihre schrecklich banalen und brutalen Inszenierungen ein Mosaik aus Gangsterfilm-, Western- und Musicalszenen, die sich zur gleichermaßen verstörenden wie beeindruckenden Bilderreise in die Psyche der Mörder zusammensetzen. Das Verblüffende ist, daß diese Fiktionalisierung der eigenen Taten die reuelosen Täter erstmals zu einer echten Reflexion ihrer Verbrechen zwingt.
Wie nahe Oppenheimer diesen Männern kommt, ohne seine eigenen Werte zu verraten oder das Leid der Opfer zu banalisieren, ist einfach nur bewundernswert, ebenso wie der Mut, seinen Namen unter dieses über alle Maßen beeindruckende Zeugnis menschlicher Grausamkeit zu setzen. Eine beispiellose Lektion darin, was Dokumentarfilm leisten kann.
Originaltitel: THE ACT OF KILLING
DK/Norwegen/GB 2012, 115 min
FSK 16
Verleih: Neue Visionen
Genre: Dokumentation, Historie, Polit
Regie: Joshua Oppenheimer
Kinostart: 14.11.13
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...