An einem Nachmittag im Oktober 2010 entschließt sich Heinz Emigholz, nach Saipan zu fliegen. Der Filmemacher weiß um die Geschichte der südlich von Japan gelegenen Insel. Im Zweiten Weltkrieg hatten US-Soldaten die Insel eingenommen. Von dort plant er, nach Tinian überzusetzen, jener Insel, von der aus die B-29-Bomber starteten, die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten.
Auf seiner Reise transportiert Emigholz seine Kamera im Gepäck, die alles festhält: das klare, blaue, glitzernde Wasser und den weißen Strand in Saipan. In Tinian erinnern nur noch Fotografien an die den Tod bringenden Bomben, eine Konstruktion aus Beton und Glas. Krieg und Zerstörung sind hier längt Vergangenheit, Heinz Emigholz aber will alles dokumentieren, weil auch sein eigenes Schicksal von diesem Ort abhängt. „Ich kam mir vor wie eine Schildkröte, die Tausende von Meilen an ihren Geburtsort zurückschwimmt, um ihre Eier im Sand zu vergraben – an dem Strand, an dem Soldaten sterben mußten, denen ich Leben und Kindheit im Schutz des Gleichgewichts des Schreckens verdanke“, erinnert sich der 66jährige.
THE AIRSTRIP ist der dritte Teil seiner Architektur-Trilogie „Aufbruch der Moderne.“ Für den Film bereist er 34 Orte auf drei Kontinenten: das Pantheon in Rom, Mausoleen in Argentinien, den Flughafen in Mexiko Stadt: „Es ist eine Spirale des Immergleichen“, sagt Emigholz. „Konstruktion, Katastrophe, Zerstörung, Not und Rekonstruktion bis hin zum idiotischen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses im Namen einer ,Tradition’, die auf Mord und Totschlag beruht.“ Die Bilder, die Emigholz hervorbringt, sind starr und menschenleer. Aneinandergereihte Fotografien, Standbilder, die Zeit für Assoziationen und Gedanken lassen. Die historischen Monumente reichert er mit Musik von Kreidler und Animationssequenzen an. Der Film fordert viel Liebe zum Detail und umfangreiches Geschichtswissen, damit sich die Bilderserie nicht in der Beliebigkeit verliert; ein filmisches Experiment, auf das man sich einlassen muß.
Auf seinem Rückflug von Saipan nach Tokio erblickt der renommierte Experimentalfilmer über dem aktiven Vulkan der Nachbarinsel Anatahan einen Regenbogen, der ihn zu einem neuen Film über die seit 1990 unbewohnte Insel inspiriert. THE AIRSTRIP bildet also vorerst den Schlußpunkt seiner architektonischen Reise. Denn auf Anatahan gibt es außer Hütten, Höhlen und Pflanzen keine Architektur.
D 2013, 108 min
FSK 0
Verleih: Filmgalerie 451
Genre: Dokumentation
Regie: Heinz Emigholz
Kinostart: 02.10.14
[ Claudia Euen ]