Originaltitel: THE BIG SICK

USA 2017, 119 min
FSK 6
Verleih: Weltkino

Genre: Tragikomödie, Liebe

Darsteller: Kumail Nanjiani, Zoe Kazan, Holly Hunter, Ray Romano, Anupam Kher

Regie: Michael Showalter

Kinostart: 16.11.17

25 Bewertungen

The Big Sick

In Gesundheit und Krankheit – oder: Wie eine Frischhaltedose zu feuchten Augen führt

Eigentlich ginge es sehr, sehr knapp gefaßt: Wer Lust auf eine erwachsene, vollkommen kitschfreie Liebesgeschichte hat, der beende bitte sofort die Lektüre vorliegenden Textes, besuche jenen Film und lasse sich von dessen Qualitäten überraschen. Entsprechendes gilt für Menschen, die gern bestens unterhalten schmunzeln, obwohl ihnen gerade das Herz gesprengt wird. Und auch Freunde mimischer Brillanz fühlen sich direkt angesprochen. Bleibt also fast niemand übrig, die folgenden Zeilen zu lesen, wir schreiben sie dennoch, Platz steht ja zur Verfügung und zu feinstem Kino muß verführt werden!

Und so zucken wir gemeinsam mit Kumail zusammen, als es beim Familienessen an der Tür klingelt. Mutti gibt sich unvorbereitet, öffnet, führt – mal wieder – eine potentielle Braut herein, die spontan des Weges kam, Quasi-Bewerbungsfoto in der Hand. So ein Zufall! Das Eis zum Dessert wartet allerdings noch, bis Kumail gebetet hat, was er rebellisch verweigert. Und eine arrangierte Heirat? Nö, sein Herz hat der bedauerlicherweise eher dröge Stand-Up-Komiker schon verschenkt, konkret an Emily. Beide herrlich verpeilt und unsicher, ergo eine praktisch nahezu perfekte Verbindung. Läge Emily nicht bald unbekannt erkrankt im künstlichen Koma.

Das feuert – inklusive Furcht vor der eventuell fies ghostenden Frau Mama, verstörendem „Akte X“-Zitat oder beiläufiger Terrorismus-Anspielung – anfangs hinreißend komische Gagsalven, ohne jedoch dabei gängige Komödienstandards zu unterlaufen. Was in Ordnung wäre, dem Ganzen indes nicht genügt, weswegen Emilys mysteriöses Gebrechen zu einer regelrechten Öffnung in alle Richtungen führt. Jetzt eilen nämlich Kumails mögliche zukünftige Schwiegereltern ans Krankenbett, zwar fernab kultureller Vorurteile, aber stinkig, nur mühsam beherrscht Gift und Galle spuckend. Grabenkämpfe, Wortgefechte, Verzweiflung atmende Ausbrüche: „Loving Somebody This Much Sucks.“

Man zieht Dr. Google hinzu, freilich keine gute Idee, Medizindeutsch entschlüsseln führt lediglich zu verstärkter Hilflosigkeit, primär Mutter Beth sollte aufpassen, am drohenden Verlust der Tochter nicht komplett zu zerbrechen. Ihren Mann hat sie bereits verloren, rigoros abgekanzelt, ein dummer Fehler brachte die Ehe zum Kippen. Und trotzdem Holly Hunter als Beth nie besser spielte (gilt sogar fürs PIANO!), hält sich das Ensemble wacker auf ähnlicher Höhe. Weil dem Skript eine seltene Meistertat gelingt: wirklich jeder einzelnen Figur Vertiefungsräume zu geben, in langen Szenen, reinhauenden oder schmunzelnden Dialogen, kurzen (Augen-)Blicken.

Kein Kameramagier malt prächtig bunte Bilder, deren Staunpotential mangelnde Inhaltlichkeit verhüllt. Nirgends manipuliert ein Soundzauberer das Trommelfell durch einlullende Wohlfühlmassagen oder nachsichtig stimmende Gassenhauer. Nein, es sorgt – im wahrsten Wortsinne schlicht und ergreifend – das normale Leben für stetige Gefühlswallungen, emotionale Wechselduschen zwischen wohliger Wärme und kühler Gänsehaut, reicht bittersüße Handlungshäppchen, wobei „bittersüß“ exakt Bitterkeit in der Süße und umgekehrt bedeutet, großartiger kann das kaum inszeniert werden. Apropos großartig: Zeit, dem Verleih Respekt dafür zu zollen, statt simpler Übernahme des personell hoffnungslos zugemüllten internationalen Postermotivs erfolgreich für ein eigenes, reduziertes, ungleich schöneres und passenderes Plakat gekämpft zu haben.

Und da dies tatsächlich eine wahre Geschichte ist, die echte Emily und der reale Kumail über Jahre hinweg das Drehbuch verfaßten, mag man sämtlichen höhnischen Zynikern, frisch Enttäuschten, oft Verletzten und immer Suchenden laut zurufen: Es gibt die richtige, hingebungsvolle Liebe, und sie kennt vielfältige Wege, sich zu zeigen! Was im konsequent der Erde verhafteten Erzählungskosmos ebenso unser Traumpaar wie zwei lediglich beiläufig erwähnte Sockenpaare meint, schwer berührtes Schnüffeln in der Dunkelheit garantiert, wenn eingetuppertes Essen den Besitzer wechselt, und selbst bis hierhin geduldig am Text Gebliebene hoffentlich vom Kinokartenkauf überzeugt.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...