Wir sehen dieses Gesicht: würdevoll, fein geschnitten, ausdrucksstark. Und in Tränen gebadet. Es gehört Robin Wright, bekannt als Jenny aus FORREST GUMP, die von ihrem Agenten Al niedergemacht wird. Von miesen Filmen ist die Rede, miesen Entscheidungen, miesen Männern (Gruß an ihren Ex Sean Penn). Wright erträgt die Kanonade mit mühsamer Contenance, und weil das fern jeder Star-Attitüde direkt zu Herzen geht, nennen wir sie folgend freundschaftlich einfach Robin.
Robins Karriere neigt sich also dem Ende entgegen, es bleibt ein einziges Angebot: Sie läßt sich scannen, ihr digitales Abbild wird für alle möglichen Rollen wortwörtlich benutzt, ohne Mitspracherecht. 20 Jahre lang, in denen Robin selbst nirgends auftreten darf. Was bleibt ihr, fast vergessen und Mama eines kranken Sohnes, anderes als Zustimmung? Außerdem haben Keanu Reeves und Michelle Williams ja schon mitgemacht, oder? Robin unterschreibt ...
Bis dato beackert WALTZ WITH BASHIR-Regisseur Ari Folman das breite Feld der Hollywood-Schelte, spricht von „zu Tode gelifteten Frauen“, ersinnt eine blutsaugende Produktionsfirma inklusive unverkennbarem Logo, macht sich über Preisvergabemechanismen lustig – wer in Holocaustdramen auftritt, fühlt warmen Auszeichnungsregen. Highlight dabei ein Filmausschnitt im Film, welcher herrlich dämlich bis beißend böse einen politisch motivierten Ehekrach zwischen natürlich digitalisierten Darstellern zeigt. Doch Folman wird des Spiels zum rechten Zeitpunkt müde und hat sowieso viel mehr vor.
Nach Ablauf der Sperrfrist reist Robin zum titelgebenden Kongreß, stattfindend in einer animierten Welt. Dort gelten keine Regeln, und Folman tobt sich nun richtig aus, hebelt Realität und Fiktion aus den Angeln, raubt den gezeichneten Bildern jegliche nominell vorhandene Unschuld. Durch sexualisiertes Getier im Aquarium, brutale Gewalt oder nicht zuletzt Robins absoluten Verzicht auf Humanität. Nur eine Substanz soll sie künftig sein, konsumierbar vom Publikum, analog zu bereits vielen Darstellern vor ihr. Was eine Gruppe Rebellen verhindern will, und wie jeder Krieg häuft auch dieser Opferberge an und läßt das Tierische hervorbrechen.
Da gibt’s zwar weitere Gastauftritte beispielsweise von Tom Cruise, Grace Jones oder Elizabeth Taylor (beziehungsweise deren Abbildern) sowie sarkastische Seitenhiebe, zum Beispiel in Form eines konsequent überzogenen Schwafel-Interviews zur Promotion eines krachledernen Blödblockbusters, doch der Ton gerät insgesamt dunkler, zynischer, fordernder. Hier tobt eine Schlacht ums quasi selbstnegierende Menschsein, das Zukunftskino und die Verbindung beider Pole. Verkaufte Seelen, verzichtbare Identitäten – allgemeingültige Themen, aufgefädelt am Strang der Moderne, spezieller lesbar als Allegorie auf eine (kommende?) Filmindustrie, welche Werten keine Beachtung schenkt, ihr Humankapital, primär die Darsteller, zu schnöden Mammon sammelnden und bei Funktionsverweigerung wegwerfbaren Auffanghüllen degradiert.
Was dezent verwirrend klingen mag, ist tatsächlich nicht ganz leicht zu verfolgen, aber es lohnt sich definitiv, das Experiment zu wagen. Schon allein, weil unter der knalligen Fassade verständliche, in ihrer Intimität das Geschehen erdende Beweggründe sitzen. Unter anderem Robins Kampf einer Mutter für das Glück des Kindes, genauso wie die Frage danach, was wahre Liebe fordern kann, darf und manchmal sogar muß. Das Enigma gewinnt emotionale Züge, die ihm ausnehmend gut stehen. Trotzdem entzieht sich der Film in seiner Gesamtheit aller wörtlichen Beschreibung, das eigene Erleben erwächst zur Pflicht. Denn, um mal zu zitieren: „It’s Much More Complicated.“ Für jeden von uns.
Und weil wir eben bei der Unmöglichkeit sind, etwas schriftlich niederzulegen, sei zum Schluß Robins darstellerischer Einsatz erwähnt. Wie sie allein während des Scanprozesses mit dem eingangs erwähnten Gesicht durch sämtliche Gefühle geht, gehört zu jenen mimischen Meisterleistungen, die man so einmal alle Jubeljahre erlebt – und wahrscheinlich nie wieder.
Originaltitel: THE CONGRESS
Israel/D/Polen/Luxemburg/F/Belgien 2013, 122 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Science Fiction, Experimentalfilm, Tragikomödie
Darsteller: Robin Wright, Harvey Keitel, Paul Giamatti, Danny Huston
Stab:
Regie: Ari Folman
Drehbuch: Ari Folman
Kinostart: 12.09.13
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...