Es sei, sagt Fatih Akin über THE CUT, ein sehr persönlicher Film geworden. Gleichsam der Endpunkt seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie, setze er sich darin „inhaltlich mit meinem Gewissen und formal mit meiner Liebe zum Kino“ auseinander. So der Regisseur, der mit den ersten Teilen besagter Trilogie (GEGEN DIE WAND, AUF DER ANDEREN SEITE) zwei der stärksten Arbeiten des neueren deutschen Kinos schuf. Nun also ist der „Teufel“ dran, und als ginge es mit selbigem zu, entpuppt sich THE CUT als der Film, mit dem Fatih Akin schlicht scheitert.
Am eigenen Leibe erfährt der armenische Schmied Nazaret, wie der Teufel, wie das Böse in der Welt wütet. 1915 setzt die Handlung von THE CUT ein, als türkische Soldaten bei Nacht und Nebel Nazaret seiner jungen Familie entreißen und verschleppen. Zum Straßenbau in einer Wüstenhölle, der keiner seiner Mitgefangenen entkommen wird. Denen, die nicht vor Erschöpfung sterben, wird eine Soldateska die Kehlen durchschneiden. Nur mit Nazaret hat das Schicksal noch anderes vor, es ist noch nicht fertig mit diesem Mann, der jetzt allerdings ein der Sprache beraubter ist. Der Schnitt in den Hals hat seine Stimmbänder durchtrennt. Stumm wandelt Nazaret durch eine desolate Welt, in der gerade das geschah, was die Geschichte den Völkermord an den Armeniern nennt. Nazarets Töchter, so erfährt er, sollen den überlebt haben. Die Suche kann beginnen. Jahre wird sie dauern, bis hinüber nach Amerika wird sie führen.
Es ist diese Suche, die Nazaret am Leben hält – aber eben leider nicht diesen Film, der selbst eine Suche scheint. Die nach den Bildern, nach dem Ton, nach dem wuchtigen Pulsschlag des großen, vielleicht auch Seelenwunden heilenden Kinogefühls. Nur, daß THE CUT nicht zu diesen Bildern, Tönen, diesem Pulsschlag vordringt, sondern lediglich zu einer Fata Morgana davon. Flirrend, aber nicht echt. Es gehört dabei zu den Eigenheiten von THE CUT, daß gerade die starken Szenen (und es gibt sie) diese latente Schwäche am prägnantesten offenbaren. Etwa, wenn Nazaret in einem staubigen Hinterhof in Aleppo dem neuen Wunder namens „Kino“ begegnet. Charlie Chaplin flimmert dort – und Nazaret lacht, befreit für Augenblicke von seiner Daseinslast, zum ersten und letzten Mal in diesem Film. Es ist der einzige Moment, in dem in THE CUT Kinomagie wirklich und nicht als Luftspiegelung pulsiert. Verantwortlich dafür ist – Charlie Chaplin.
Originaltitel: THE CUT
D/F/Polen 2014, 138 min
FSK 12
Verleih: Pandora
Genre: Drama
Darsteller: Tahar Rahim, Sesede Terziyan, Simon Abkarian, Hindi Zahar
Stab:
Regie: Fatih Akin
Drehbuch: Fatih Akin
Musik: Alexander Hacke
Kinostart: 16.10.14
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.