Originaltitel: THE DEAD DON’T HURT

GB/Mexiko/DK 2023, 129 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Western

Darsteller: Vicky Krieps, Viggo Mortensen, Danny Huston, Solly McLeod, Garret Dillahunt

Regie: Viggo Mortensen

Kinostart: 08.08.24

6 Bewertungen

The Dead Don’t Hurt

Eigenwilliger Regisseur, traumwandlerische Hauptdarstellerin: Ein Western abseits der üblichen Pfade

Möglicherweise ist es sinnvoll, bevor man ins Kino geht und dort THE DEAD DON´T HURT anschaut, sich kurz genauer über Viggo Mortensen zu informieren. Denn der Schauspieler, der mit seiner Rolle des Aragorn in der DER HERR DER RINGE-Saga weltberühmt wurde, ist weit mehr als nur der Schauspieler, der mit seiner Rolle des Aragorn weltberühmt wurde. Nicht nur, daß Mortensen auch in anderen Filmen darstellerisch brillierte (GREEN BOOK, THE ROAD, CRIMES OF THE FUTURE), der Mann ist zudem auch selbst Regisseur – und außerdem Fotograf, Maler und Dichter. Und daß er all das tatsächlich ist, zeigt jetzt THE DEAD DON´T HURT recht eindringlich.

Nach dem Familiendrama FALLING ist THE DEAD DON´T HURT Mortensens zweite Regiearbeit. Zudem schrieb er das Drehbuch, komponierte die Filmmusik und übernahm die männliche Hauptrolle. Daß der Charakterkopf und Allround-Künstler auch als Produzent fungierte, versteht sich da von selbst. Und fast erleichtert mag man ob dieser Fülle an Gaben und Tatendrang registrieren, daß Mortensen, der Fotograf, dann immerhin die Kamera einem Anderen überlassen hat. Marcel Zyskind nämlich, der auch schon in FALLING für jene klar komponierten und dabei einnehmend still und tief atmenden Bilder sorgte, die jetzt in THE DEAD DON´T HURT noch einmal eine Steigerung hin in eine gemäldehafte Anmutung epischer Färbung bekommen haben. Zur Geschichte, die der Film erzählt, paßt das perfekt.

Irgendwann kurz vor Beginn des Amerikanischen Bürgerkrieges lernen sich in San Francisco die Frankokanadierin Vivienne Le Coudy und der dänischstämmige Holger Olsen kennen und lieben. Auf Olsens Farm in der Einöde Nevadas wollen sie ein gemeinsames Leben aufbauen. Daß der Bürgermeister des nahegelegenen Städtchens korrupt ist und mit dem so selbstherrlichen wie skrupellosen Rancher Alfred Jeffries und dessen Sohn Weston die Stadt unter seiner Knute hält, nehmen Vivienne und Holger zur Kenntnis, ohne sich groß darum zu kümmern. Doch dann bricht der Bürgerkrieg aus, und Holger meldet sich freiwillig. Zum großen Unverständnis Viviennes, die ahnt, welche Gefahren ihr drohen, wenn sie allein auf der Farm bleibt. Die Ahnungen sollen sich brutal bewahrheiten. Weston vergewaltigt Vivienne, und wenn Jahre später Holger aus dem Krieg zurück auf die Farm kommt, wird er Vivienne dort mit einem Sohn antreffen.

Natürlich: Mortensens Film ist ein Western und in seiner Anmutung sogar ein be-sonders schöner. Elegisch, lyrisch, in manchen Momenten geradezu kontemplativ. Zugleich bleibt er genreaffin lakonisch, unerbittlich und gewalttätig. Und reiht sich in alldem ein in vor allem jene Western, die statt der üblichen Kerle lieber Frauen in den Fokus rücken. So, wie es Nicholas Ray in JOHNNY GUITAR, Peter Fonda in DER WEITE RITT, Tommy Lee Jones in THE HOMESMAN taten. Oder auch eine interessante deutsche Eigenwilligkeit wie Thomas Arslans GOLD. Soll heißen: THE DEAD DON´T HURT ist zwar ein Western, aber er läuft schon deshalb nicht nach dessen „klassischen“ Erzählmustern ab, weil er eben weit weniger die Geschichte eines Mannes, als eben vielmehr die einer Frau erzählt.

Vivienne ist das Kraftzentrum des Films, und Vicky Krieps spielt diese Figur mit jener Art Präsenz, die nichts ausstellt, nichts forciert, die „nie so tut“, sondern auf geradezu traumwandlerische Art den Film an sich zieht. Beginnend mit dem bitteren Ende, schreitet der asynchron, in episodischen Ellipsen voran. Greift erinnernd zurück in die kanadische Kindheit Viviennes, kontrastiert das Blätterrauschen der Ahornwälder mit der Wüstenstille Nevadas, vertieft sich in die verschiedenen Farben der Dämmerung am Abendhimmel, montiert Blickwechsel über Jahre hinweg, liest konzentriert in Gesichtern, läßt Raum für gestische und mimische Nuancen. Und schafft es sogar, das Traumbild eines geharnischten Ritters ganz selbstverständlich in diesen doch so uramerikanischen Stoff einzuweben. Ein Werk, selten eigen und in sich ruhend.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.