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The Five Obstructions

Was ist eine gute Perversion?

Es gibt einen Film über den perfekten Menschen, von 1967, zwölf Minuten lang, ein Mann und eine Frau im Nichts, hinfallend, essend, mit den Fingern schnipsend. Lars von Trier liebt J¿rgen Leths DET PERFECTE MENNESKE. Also bat er den Regiekollegen, ihn fünf mal neu zu machen - nach Regeln, die von Trier vorgibt. Leth war geschmeichelt und ... saß in der Falle. Kaum verblümt muß er sich von diesem Teufel vorhalten lassen, daß ihm sein Perfektionismus, sein "übertriebener Anstand" ausgetrieben gehören. Als "Hilf-J¿rgen-Leth-Projekt" betitelt von Trier die hier dokumentierte Erziehungsmaßnahme scheinheilig. Leth nennt sie zähneknirschend "eine gute Perversion".

Fünf Kurzfilme sind daraus entstanden: eine Zeichentrick-Variante, weil beide das Genre hassen. Eine weitere mit nur 12 Bildern pro Einstellung, weil man so jeden guten Stil kaputt macht. Und im verdreckten Rotlichtviertel von Bombay will man endlich Leths bourgeoisem Anstand zu Leibe rücken. Als perfekter Mensch muß er vor hungernden Indern speisen. Und er besteht den Test, künstlerisch wie moralisch. Doch sein Auftraggeber wollte ihn scheitern sehen. Zurück nach Bombay oder völlige Freiheit? Die Wahl der Strafe fällt nicht schwer: Brüssel, keine Regeln. Teuflischerweise funktioniert die Züchtigung. Denn ohne jede Beschränkung entsteht hier zwar Leths harmonischster, aber eben auch sein blassester Film.

Jenes Scheitern an der künstlerischen Freiheit gehört zu den vielen klugen Offenbarungen dieses amüsanten, aufreibenden Experiments um Hindernisse und ihre spielerische Überwindung, das so wohl nur dem Wellen- und Regelbrecher von Trier einfallen konnte. Ob er einkalkuliert hat, in den mitgelieferten, trotz allem lächelnd geführten Streitgesprächen so viel von sich preiszugeben? Von seiner Besserwisserei? Der Arroganz gegen einen würdigen Gegner? Sicher! Denn auch im Spiel mit dem Publikum bestimmt er die Regeln. Manipulator, Egomane, die Summe seiner Schwächen ist er also, der perfekte Regisseur. Und wie funktioniert er?

Nun, er muß zunächst einmal essen, wie jeder Filmemacher von der Stange. Von Trier hat seinem Gast ein paar Snacks vorbereitet - Kaviar für alle, aber Wodka ganz für sich allein. Ohne den geht es nicht, wie er entwaffnend zugibt.

Originaltitel: DE FEM BENSP®ND

DK/Belgien/CH/F 2001-2003, 90 min
Verleih: Arsenal

Genre: Dokumentation, Kurzfilm, Experimentalfilm

Darsteller: Lars von Trier, Jürgen Leth

Stab:
Regie: Lars von Trier, Jürgen Leth
Drehbuch: Lars von Trier, Jürgen Leth

Kinostart: 26.08.04

[ Sylvia Görke ]