Originaltitel: THE FLORIDA PROJECT

USA 2017, 115 min
FSK 12
Verleih: Prokino

Genre: Drama

Darsteller: Brooklynn Kimberly Prince, Bria Vinaite, Willem Dafoe, Christopher Rivera, Valeria Cotto

Regie: Sean Baker

Kinostart: 15.03.18

5 Bewertungen

The Florida Project

Eine etwas andere Mutter-Tochter-Geschichte

Es sind Sommerferien in Florida unweit von Disneyland, doch die 6jährige Moonee und ihre Freundinnen werden keinen Fuß ins magische Königreich setzen. Dieses Traumland ist für sie ebenso unerrreichbar wie der Mond. Das kümmert Moonee allerdings nicht weiter, Abenteuer gibt es auch so genug zu erleben, zumal ihre blutjunge Mutter Halley sie den ganzen Tag allein umherstreifen läßt. Also spucken Moonee, Scooty und Jancey schon mal das Auto einer Nachbarin voll, drehen dem Motel, in dem sie leben, den Strom ab, spielen mit Feuer in verlassenen Häusern und schauen, wo sie ein Eis abstauben können. Auf Vorhaltungen der Nachbarn oder des Motelmanagers Bobby wegen der Streiche ihrer Tochter reagiert Halley tiefenentspannt.

Mit unzähligen Tattoos ausgestattet, gefärbten Haarspitzen und knapper Kleidung um den dünnen Leib, ist Halley im Grunde selbst noch ein Kind. Gefühlt jedes zweite Wort aus ihrem Mund ist „Fuck“, ihr kann eh keiner was, und die tägliche Zimmermiete kratzt sie schon irgendwie zusammen. Für ihre Tochter ist Halley eher eine Art große Schwester. Nie wird sie böse oder aufbrausend, sondern macht jeden Quatsch mit. Jedoch steht diese erfrischende Unbekümmertheit auf Dauer im Kontrast zur elterlichen Verantwortung, die die junge Frau eigentlich übernehmen müßte. 

Ein solch’ charmantes Mutter-Tochter-Gespann jenseits aller Schubladen, wie es Nachwuchstalent Sean Baker in THE FLORIDA PROJECT porträtiert, hat das Kino vielleicht noch nie gesehen. Angesiedelt ist der Film in der Welt der Billig-Motels, die für viele Leute in den USA die letzte Station vor der Wohnungslosigkeit sind. Es fällt ihnen leichter, rund 40 Dollar die Nacht für ein Zimmer mit Bad und Kochnische zu zahlen, als die Miete für eine Wohnung aufzubringen, die insgesamt auch nicht viel mehr kosten würde. Nur wenige schaffen es, diesem prekären Leben zu entkommen. Eine Seite der USA jenseits von Touristen-Klischees.

Baker erkundet dieses Milieu mit der Kamera, sein Film ist mehr eine Zustandsbeschreibung, als daß er eine klassische Geschichte erzählen würde. Gedreht wurde an realen Schauplätzen, und bis auf Willem Dafoe als Bobby sind alle Laienschauspieler, die mehr oder weniger sich selbst verkörpern. Dadurch wirkt der Film in höchstem Maße authentisch. Er zeigt diese Leute nicht etwa als bedauernswerte Verlierer, sondern als selbstbewußte, hart kämpfende Menschen. Die Kinder wirken dabei völlig natürlich vor der Kamera, sie spielen im eigentlichen Wortsinne. Moonee alias Brooklynn Kimberly Prince ist eine Schwester im Geiste von Hushpuppy Doucet, dem kleinen starken Mädchen aus dem wunderbaren BEASTS OF THE SOUTHERN WILD. Und von Bria Vinaite als Halley wird man wohl noch viel hören.

Neben den Darstellern spielt die Architektur eine ebenso große Rolle. Diese Unorte im Nirgendwo am Rande des Highways sind so häßlich, daß sie fast schon wieder pittoresk sind. Motels in schreienden Farben, ein Geschenkeladen mit einer riesigen Zaubererfigur auf dem Dach, ein Geschäft in Form einer halben Orange … Der Film verleiht ihnen eine ganz eigentümliche Poesie und zeigt, was Kino im besten Fall vermag: Man taucht in eine andere Lebenswelt ein und ist bezaubert.

[ Dörthe Gromes ]