Denkt man an James Ivory, hört man unwillkürlich das Rascheln von Seide, das in prächtigen Entrees noch bedeutsamer klingt, erinnert man Hochsteckfrisuren und gepflegte Konversation. Hat er nicht immer schon Henry James verfilmt? DIE EUROPÄER und DIE DAMEN AUS BOSTON und ... das war’s schon. Doch was ihn darüber hinaus mit dem amerikanischen Literaten, der schließlich in England ansässig wurde, verbindet, ist das Interesse am moralischen Verfall der alten und dem Erwachsenwerden der neuen Welt, gespiegelt im Verhältnis von Amerikanern und Briten, von Bürgern und Adeligen oder einfach nur rechtschaffener Vernunft und Dekadenz: WAS VOM TAGE ÜBRIG BLIEB, WIEDERSEHEN IN HOWARDS END oder auch ZIMMER MIT AUSSICHT - die Beispiele sind zahlreich.
Ivorys Haus- und Hof-Drehbuchautorin Ruth Prawer Jhabvala empfahl und bearbeitete nun James’ "The Golden Bowl", und der Regisseur pflegt seine Vorlieben: raschelnde Seide, prächtige Entrees, gepflegte Konversation und Moral auf Abwegen - eine goldene Schale mit Sprung eben. Dieses kostbare, aber beschädigte Kleinod enthüllt der jungen Amerikanerin Maggie Jahre nach ihrer Hochzeit, daß ihr Ehemann Prinz Amerigo einst mit Charlotte Saint verbandelt war, oder ist er es noch? Doch nicht nur Eifersucht und enttäuschtes Vertrauen plagen sie, denn Charlotte ist inzwischen die Frau von Maggies Vater geworden. Aber der amerikanische Industrielle und passionierte Sammler und Kenner europäischer Kunst weiß mehr, als er zeigt.
Betrug und Schuld schwelen über dem Quartett, tief empfundene Liebe und schließlich Opferbereitschaft. Naivität und Durchtriebenheit sind in den Figuren vielfach gebrochen und werden in Dialogen über kreuz besprochen und angedeutet. Erstklassige Schauspieler - Nick Nolte überrascht und brilliert als distinguierter älterer Herr - agieren in gediegenem Ambiente, Ivory pflügt geschmackssicher und routiniert ein Feld, auf dem er sich bestens auskennt.
Originaltitel: THE GOLDEN BOWL
USA/F/GB 2000, 135 min
Verleih: Movienet
Genre: Literaturverfilmung, Historie, Liebe
Darsteller: Uma Thurman, Kate Beckinsale, Jeremy Northam, Nick Nolte, Anjelica Huston
Stab:
Regie: James Ivory
Drehbuch: Ruth Prawer Jhabvala
Kinostart: 25.04.02
[ Sylvia Görke ]