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The Guard

Nietzsche, Regen, Killer und Chet Baker – Ein Irland-Westküsten-Western

Vorweg: So matt wie der in der hiesigen Filmbewerbung an den Original-Titel gekleisterte Zusatz „Ein Ire sieht schwarz“ ist dieser Film keine Sekunde. Man muß sich hier nicht über Marketing und Zielgruppen-Kalkulationen auslassen – aber was besagter Zusatz suggeriert, ist etwas ganz anderes, als auf der Leinwand zu sehen ist. THE GUARD ist das Langfilmdebüt von John Michael McDonagh. Der nun ist der Bruder von Martin McDonagh, jenem Mann, der 2008 mit BRÜGGE SEHEN ... UND STERBEN? beglückte. Was hier erwähnt sei, weil beide Filme bei aller Unterschiedlichkeit in entscheidenden Punkten (ihrer Philosophie, ihrem Erzählton) etwas, ja, Verwandtschaftliches haben. Ein Eindruck, der sich dadurch verstärkt, daß der großartige Brendan Gleeson wie einst für Martin so nun auch für John die Hauptrolle spielt.

Sgt. Gerry Boyle ist ein Kleinstadtpolizist an der irischen Westküste. Ein Spötter mit Pokerface, ein Desillusionierter, getränkt mit zynischem Humor und Single Malt. Ein Kerl, der stoisch im ewigen Regen steht. Bis FBI-Agent Wendell auftaucht und zur Jagd auf einen Kokainschmuggler-Ring bläst. Was Gerry erst beflissentlich überhört – bis Dinge geschehen, die seinen schrägen und etwas eingerosteten Moralkodex wieder in Gang setzen.

Der bärbeißige Gerry und der kultivierte, schwarze Wendell. Was für Dialoge inklusive köstlicher Sprachprobleme (wenn möglich, OmU-Fassung anschauen)! Was für rhetorische Leberhaken! Was für groteske Situationen! Und wie McDonagh das alles inszeniert – nämlich als nicht weniger als einen Western vom Rande Europas. Mit weiten, leeren Landschaften (im Regen), mit Saloons (die Pubs sind), mit kauzigen und verdammt gefährlichen Kerlen (letztere mit einem Faible für deutsche Philosophie). Mit einem Killer, der freundlich, aber blöderweise auch ziemlich psychopathisch ist, und auf den Gerry in einer Szene trifft. Da knistert zum Smalltalk Gefahr wie das Kaminfeuer, während auf dem Plattenteller Chet Baker seine sanfte Trompete spielt. Genial!

Überhaupt der Soundtrack zu THE GUARD. McDonagh: „Ich bat sie, einen auf Morricone zu machen, und sie stimmten zu.“ Sie – das sind Calexico, und es ist schon irre, wie gut deren Sound nach Irland paßt. Und zu diesem Film sowieso. Da tönen die Mariachi-Trompeten, wenn Gerry und Wendell mit Kalaschnikows (!) durch den irischen Regen zum Showdown schreiten. Muß man einfach sehen!

Originaltitel: THE GUARD

GB/Irland 2010, 96 min
FSK 16
Verleih: Ascot

Genre: Komödie, Thriller

Darsteller: Brendan Gleeson, Don Cheadle, Liam Cunningham, Mark Strong

Regie: John Michael McDonagh

Kinostart: 22.09.11

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.