Originaltitel: THE HOLDOVERS
USA 2023, 134 min
FSK 12
Verleih: Universal
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Paul Giamatti, Dominic Sessa, Da’vine Joy Randolph
Regie: Alexander Payne
Kinostart: 25.01.24
Sie sind der letzte Rest vorm großen Fest, zu dem alle Anderen schon ausgeflogen sind. Sie sind die Loser, die Unerwünschten; die, die nicht erwartet werden von der Familie oder wenigstens irgendwelchen Freunden. Sie sind die Überbleibsel (Holdovers), dazu verdammt, die Weihnachtsferien nicht nur miteinander, sondern auch noch in der zwar ehrwürdigen, vor allem aber staubigen und außerdem hundekalten, da jetzt nur noch auf Sparflamme beheizten, Deerfield Academy zu verbringen. Da hocken sie dann in Mißmut beieinander, diese Handvoll Internatsschüler plus Lehrkraft Mr. Hunham. Ach ja, Schulköchin Mary nicht zu vergessen.
Es ist eigentlich eine unwiderstehliche Exposition für einen typischen Weihnachtsfilm: Verlorene Schäfchen finden sich zur Kleinstherde unterm Tannenbaum zusammen, wo ihren gebeutelten Seelen vom Geist der Weihnacht Heilung widerfährt. So in der Art halt. Und man mag sich tatsächlich kurz fragen, warum THE HOLDOVERS erst jetzt, im Monat nach Weihnachten, in die Kinos kommt.
Die Antwort ist simpel: Dem Unwiderstehlichen (nennen wir’s beim Namen: Kitsch) widersteht Regisseur Alexander Payne mit Bravour. Anders gesagt: Sein Film ist zu nuanciert und klug, um als saisonaler Gefühlskleister verkleckert zu werden. Nicht, daß es THE HOLDOVERS an Gefühl fehlt. Oder Witz und Melancholie. Im Gegenteil. Warm ums Herz dürfte es einem hier schon werden. Das Kunststück ist nur, daß der Blick dabei nie in Tränenrührigkeit verwässert, sondern klar und frisch bleibt. Und durchaus auch mal frostig ist.
Daß das nun so gut funktioniert, liegt erst einmal am rundweg großartigen Cast, allen voran Paul Giamatti. Der Schauspieler arbeitete mit Payne schon in der Film-Weinseligkeit SIDEWAYS zusammen. Und mimte er damals hinreißend den misanthropischen Snob auf Gourmetreise durch kalifornische Weingüter, gibt er jetzt hinreißend den misanthropischen Geschichtsprofessor Mr. Hunham. Der pichelt statt edlen Weines lieber ausgiebig Discounter-Bourbon und malträtiert ansonsten genüßlich Schüler und Kollegen mit seiner Bärbeißigkeit. Ausgenommen von dieser ist lediglich Mary. Vielleicht, weil sie selber immer eine Flasche Whiskey griffbereit hat, um damit einen Lebens-, einen Verlustschmerz zu betäuben, an dem sie zu zerbrechen droht. Und dann ist da noch der 15jährige Angus. Intelligent, widerborstig, mental ebenfalls arg angegriffen – und dank eines cleveren Drehbuchkniffs bald der einzige Schüler unter den Fittichen von Mr. Hunham.
Mit der Schrumpfung der Kleinstherde zum Trio erweitert sich in THE HOLDOVERS zugleich der Handlungsraum über den Campus hinaus. Und es zieht, wie nebenher und doch insistierend, Zeit- ins Lokalkolorit: THE HOLDOVERS spielt in den letzten Tagen des Jahres 1970. In Vietnam tobt ein Krieg. Und so fern der scheint, so ist er doch zugleich bitter nah in dieser kleinen intimen Geschichte darüber, wie man inmitten eines großen Strauchelns wieder Tritt, inmitten der Verlorenheit wieder Lebensmut faßt. Jeder auf seine Weise. Aber eben auch miteinander.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.