Originaltitel: THE HOLE IN THE GROUND

Irland 2019, 90 min
FSK 16
Verleih: Weltkino

Genre: Horror, Drama

Darsteller: Seána Kerslake, James Quinn Markey, Simone Kirby, James Cosmo, Kati Outinen

Regie: Lee Cronin

Kinostart: 02.05.19

5 Bewertungen

The Hole In The Ground

Mein Kind, das schrecklich unbekannte Wesen

Sarah und der 8jährige Chris im Auto auf dem Weg zum neuen Zuhause: Man albert herum, Chris fragt forsch nach einem Fahrrad, Sarah muß aus finanziellen Gründen verneinen, eventuell nächstes Jahr ... Kreischende Bremsen, eine Gestalt schleicht auf der Straße rum und hinterläßt nicht gerade den Eindruck geistiger Gesundheit. Und obwohl das ein typischer Grusel-Klischee-Einstieg zu sein scheint, lauert der hier positiv besetzte Teufel im figurenzeichnenden Detail: Weder entspricht Chris dem überzüchtet-altklugen Kinokind, noch schwingt sich Sarah zur kantenlosen Superheldinnenmom auf. Sympathisch beide, glänzender Start.

Welchen Regiedebütant Lee Cronin dann vorgeblich erneut an Gängigkeiten opfert, Flucht vor Mißbrauch offenbart, Trennung vom schwer vermißten Vater thematisiert, sich oben erwähntes Beinahe-Unfallopfer als verwirrte Nachbarin Noreen herausstellt, verrufene Mörderin des eigenen Sohnes. Aber bereits dort piekt eine Ahnung dessen, worin der Schrecken sich zukünftig wirklich verbirgt – im isolierten Nebeneinander einer Provinzstadt wird Noreen „Walkie-Talkie“ genannt, weil sie permanent brabbelt. Schiere Verachtung eines tragischen Schicksals, ohne Anflug spürbarer Menschlichkeit. Oder doch, wie man’s nimmt, schließlich gehörte gefühlskalte Erbarmungslosigkeit schon immer zum humanen Repertoire, um sich gegen Unbekanntes, Unverstandenes, Unhinterfragtes abzuschotten.

Ein erster doppelter Boden knirscht, während die Handlung trügerische Konventionen abspult: Noreen glaubt, in Chris etwas Böses wahrzunehmen, und reagiert extrem auf den kleinen Jungen. Ihre Strafe dafür: grauenhaft, eine Urangst aufwühlend. Sarah werden gleichfalls fürchterliche Zweifel kommen, nachdem ihr Sprößling wütend im Wald verschwand, später am Rande eines gigantischen, organisch pulsierenden Lochs auftaucht. Diabolisch verändert. Seltsame Eßgewohnheiten pflegend, vorsichtig formuliert. Der Mutter gegenüber plötzlich brutal agierend (Grüße ans tolle Stunt-Team). Ein echter Satansbraten.

Wieder eine vermeintlich oft erzählte Schauermär, DAS OMEN und viele Kopien unterhielten Fans fieser Fiktion mit Damien und dessen Geschwistern. Cronin erweitert das Standard-Motiv indes originell um den Wechselbalg-Mythos, ungeachtet jeder Vorhersehbarkeit durchaus spannend, hochgradig atmosphärisch, manchmal verstörend. Sanft und schleichend ersetzt laut und brachial, angedeutete Gewaltspitzen dienen zum individuellen geistigen Zusammenpuzzeln morbider Vorgänge. Wunderbar – und trotzdem lange nicht der Weisheit letzter Schluß.

Erinnern wir, die Freunde der ewig währenden cineastischen Nacht, uns jetzt mal an die beschriebene Meta-Ebene und den kürzlich nicht ganz unähnlich aufgestellten WIR. Wo jener Doppelgänger für überambitionierte Gedankenspielereien nutzte und insgesamt öde versackte, modelliert sie THE HOLE IN THE GROUND zu komplexen Wucherungen auch emotionaler Alpträume zwischen Verlust, realer Bedrohung, schmerzgefütterter Illusion. Da verbietet sich zwingend eine irgendwie geartete Auflösung, weswegen Cronin stattdessen wahrlich unangenehme Skepsis im allseits geöffneten Raum gähnen läßt: Kennen wir uns je tatsächlich gegenseitig, oder lassen wir, lebensgeschult und geleitet von innerer Zerrissenheit, stets nur Hüllen unter Masken aufeinander los?

So steht am Ende ein Paradoxon; der vermutlich beste Horrorfilm des Jahres 2019 ist nämlich gar kein richtiges Genrewerk ...

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...