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The Human Scale

Von Stadtlust und Stadtzwang

Was ist eigentlich schiefgelaufen und vor allem wann? Man baut uns weltweit Städte hin, die wir nicht wollen. Man knallt sie mit Beton zu, wo wir doch Pflastersteine so mögen und Holz und Grün erst recht. Straßen formen sich zu Magistralen, wo wir doch Rad fahren wollen und laufen. Eigentlich. Oder doch nur „lieber“? „Der Mensch ist im Grunde ein sehr kluges Tier, das weiß, was es mag, und wann es sich nicht wohlfühlt“, sagt Jan Gehl, ein weit über seinen Berufsstand hinaus anerkannter Stadtplaner und Architekt aus Dänemark. Das, was er und seine Angestellten als Vision verfolgen, ist im Grunde so fassungslos banal, daß man es erst mal wieder richtig begreift, wenn es nackt und unfrisiert ausgesprochen wird. THE HUMAN SCALE folgt diesem sehr unspektakulären Konzept. Genau darin liegt zugleich die Stärke von Andreas M. Dalsgaards Dokumentarfilm.

Dem Prinzip, daß wir eh nur glauben, was wir messen, ist Jan Gehl seit Jahrzehnten treu. Er hat sich schon in den 60ern im italienischen Siena auf Plätze gesetzt und dem Bürger auf die Füße geschaut. Wie läuft er wohin? Wann hält er an, wann setzt er sich? Gehls Studien waren akribisch und hatten den Menschen im Fokus. Nicht das Auto, das im 20. Jahrhundert immer stärkere Beachtung fand, als – auf allen Kontinenten – Innenstädte entwickelt und gebaut wurden, als sie explodierten und weiter explodieren. Eine fünffach größere Zahl Kraftfahrzeuge bläht bald chinesische Großstädte auf, weil Pendlern der Weg zur Arbeit mit dem Rad schlicht zu lang wird. Sie brauchen ein Auto – um zu stehen. Wie in Dhaka, Bangladesch, schon jetzt.

In fünf Kapiteln arbeitet sich THE HUMAN SCALE angenehm frei von dogmatischer Belehrung und mit ausladender Geste statt Zeigefinger durchs Thema Lebensqualität, interviewt Planer und Bürgermeister, unterlegt alles mit prägnanten Zahlen, findet aber vor allem Bilder und Töne, die man sich ansehen und anhören mag, ohne daß sie aufweichen oder entmutigen. Chongqin, New York, Melbourne, Kopenhagen, Christchurch nach dem Erdbeben von 2011 – es geht hier vor allem auch um positive Signale, ganz gleich, ob man den massenhaften Zuzug aus ländlichen Gebieten nun Stadtlust oder Stadtzwang nennen mag.

Wenn der Film die Sinne schärft, falls demnächst in der Nachbarschaft eine Bürgerbefragung oder Stadtratsentscheidung pro oder contra einer autofreien Brücke ansteht – nur zu!

Originaltitel: THE HUMAN SCALE

DK 2012, 83 min
FSK 0
Verleih: NFP

Genre: Dokumentation

Regie: Andreas M. Dalsgaard

Kinostart: 06.11.14

[ Andreas Körner ]