Originaltitel: THE IDES OF MARCH
USA 2011, 100 min
FSK 12
Verleih: Tobis
Genre: Drama, Polit, Thriller
Darsteller: Ryan Gosling, George Clooney, Philip Seymour Hoffman, Paul Giamatti, Marisa Tomei, Evan Rachel Wood, Jeffrey Wright
Stab:
Regie: George Clooney
Drehbuch: George Clooney, Grant Heslov, Beau Willimon
Kinostart: 22.12.11
Wozu Illusionen zerstören, die niemand mehr hat? Warum Mythen entzaubern, an die keiner mehr glaubt? Wieso etwas demontieren, das dem interessierten Laien seit Jahrzehnten, ach was: Jahrtausenden in alle Einzelteile zerlegt, zersägt oder von ganz allein auseinandergefallen zur Begutachtung vorliegt? Aus welchem Grund aus allen Kinokanonen auf das Märchen vom demütigen Volksvertreter schießen, der den Wettbewerb um die Stimmen der Nation mit nichts außer seinen nackten politischen Überzeugungen bestreitet?
Für einen guten Film ist (fast) alles erlaubt, selbst die Wiederholung. Schließlich nimmt sich sogar die Weltgeschichte dieses Recht heraus – ein Schelm, der ihr Mangel an Originalität vorhielte! Schon deshalb darf man sich getrost in jenen alten Dreck aus Intrigen und Winkelzügen werfen, den dieser Politthriller in bester US-amerikanischer Fatalismustradition aufwühlt. Zumal es den Anschein hat, als wäre Gouverneur Mike Morris ein Präsidentschaftskandidat, für den sich jeder schmutzige Trick lohnt: ein Mann mit Prinzipien, gewitzt, gewandt, liberal, offen.
Laßt also die Spiele beginnen: auf zu den Vorwahlen in Ohio, hinein in den Irrsinn aus Redemarathons durch Fernsehstudios, Frauenkomitees, Veteranentreffs, Vorlesungssäle, Bowlinghallen und Kongreßzentren, hinab in die Welt der Umfragewerte, der aufgekrempelten Herrenoberhemden, improvisierten Lagezentren und diskreten Hotellobbys! Zum Troß gehört ein Heer von kaffeekochenden, posterledigenden Praktikanten, Fahrern, Stylisten, Analysten. Es wird angeführt von Paul Zara, einem alten Schlachtroß der Politberaterbranche, und überstrahlt vom neuen Stern am Himmel des Kampagnenmanagements: Stephen Meyers, Anfang Dreißig, Eloquenz im Anzug, ein Pokerface mit verbindlichem Lächeln, auf dem besten Weg in die Oberliga des Beratergeschäfts, umworben von den Mitarbeitern der Gegenseite und wild entschlossen, für Morris jede Medienschlacht zu schlagen. Stephen schüttelt Hände, streut Informationen, pflegt Kontakte und lenkt die journalistische Berichterstattung so sanft wie der Wind den Wüstensand. Wodurch genau dieser Aufstieg ins Stocken kommt, ist zunächst schwer zu sagen. Der Anruf vom Berater des Gegenkandidaten? Das Treffen in der Bar? Die Nacht mit Molly? Beim Verschweigen? Beim Gestehen? An welchem Punkt ging die Übersicht verloren? Und an welchem der Glaube an seine Mission?
Die Effizienz, mit der hier Sympathien geschenkt und genommen werden, der zwingende Kamerablick vom einen in den anderen Winkel eines Raumes, die Augenduelle, über ein Meer von Köpfen hinweg ausgefochten – George Clooney beweist hinter der Kamera dieselbe Stilsicherheit, die man ihm als Schauspieler und Coverboy des internationalen Boulevards nachsagt. Und das ist noch nicht einmal überraschend, wenigstens nicht für jene, die 2006 sein minimalistisches Schwarz-Weiß-Kammerspiel GOOD NIGHT, AND GOOD LUCK zu sehen bekamen. Es gibt Parallelen – die Liebe zur dramaturgischen Gediegenheit, zum US-Kino der alten Schule, zu Männerfiguren mit Abgründen, Manieren und Manschettenknöpfen, zu den moralischen Fallhöhen zwischen Büroetagen, zum Jazz.
Und es gibt diesen Sensor für überzeugende Geschichten, der ihn und Busenfreund Heslov auf Beau Willimons Theaterstück „Farragut North“ stoßen ließ. Daraus wurde ein Drehbuch, das nicht nur von der hohen Schule des Strippenziehens, von den Wahlverwandtschaften zwischen politischen Lagern und modernen Legionären handelt, von Königsmachern und Königsmördern, Integrität, Loyalität und ihren Bedingungen. Wer mag, darf auch über einen mediokren Freiheitsbegriff nachdenken, der zum Freedom Of Choice zusammengeschrumpft ist, oder sich fragen, ob nicht die antike Tragödie, der im Sterben sich über den Verrat des Freundes wundernde Cäsar, auf direktem Weg zum Hollywoodwestern und von dort zum Verschwörungsthriller der 70er Jahre führt. Und schließlich zur Erkenntnis, daß es noch immer eine Ecke gibt, um die man nicht gedacht hat.
[ Sylvia Görke ]