Originaltitel: THE KILLING OF A SACRED DEER

GB/Irland 2017, 121 min
FSK 16
Verleih: Alamode

Genre: Mystery, Thriller

Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Barry Keoghan

Regie: Yorgos Lanthimos

Kinostart: 28.12.17

3 Bewertungen

The Killing Of A Sacred Deer

Sind so schöne Hände

Vollnarkose? Vollnarkose! Frage und Antwort gleichen einem Ritual unter Ärzten, die sie wirklich sind – Anna fürs Spezialgebiet Augen, Steven als Herzchirurg. Eheleute sind sie auch. Vollnarkose aber ist ein Codewort. Nicole Kidman drapiert sich auf dem Bett, Colin Farrell kriecht die Erregung in den Krausbart. Es ist alles gut im noblen Speckgürtel von Cincinnati.

Kürzlich ist DIE LEBENDEN REPARIEREN dem neuen Film des gefeierten Griechen Yorgos Lanthimos zuvorgekommen. Ansonsten wären 2017 nur in THE KILLING OF A SACRED DEER großformatige Leinwandbilder vom offenen Menschenherz zu sehen gewesen, gekoppelt mit wuchtigen klassischen Klängen, so spektakulär wie metaphorisch gemeint. Es geht aber nicht um die Herz-Charts, es geht um fulminantes Kino. Und da wird zum Kehraus des Jahres noch einmal der Hammer herausgeholt. Wie der Betrachter in Folge dieser operativen Maßnahme mit seinem eigenen Puls zurechtkommt, der immer wieder auf und davon zu galoppieren droht, ist höchst individuell zu entscheiden. Das Schlafzimmer der Murphys ist kein Kampfplatz für den Frieden. Alles läuft korrekt und clean wie in den restlichen Räumen des feinen Hauses. Tochter Kim und Sohn Bob fügen sich vortrefflich ein, um als Teenies nicht aufzufallen. Sie haben eine Ader für gute Musik, wie könnte es anders sein! Geschmack allerorten.

Nun wäre ein trautes Heim als keimfreie OP-Zone mit korrekt agierenden Menschen ziemlich schnell auserzählt. Also führt Lanthimos einen 16jährigen ein, der schon beim ersten Anblick wie ein fleischgewordenes Störgeräusch daherkommt, was ohne Einschränkung am überwältigenden, nachgerade diabolischen Spiel von Barry Keoghan liegt. Er hat aber auch Glück, denn vor allem ihm gehören bis zum Finale die Lenkseile dieses Drachens von Film. Erst recht, als dieser das Terrain der vermeintlichen Idylle verläßt, um in Regionen eines surrealistischen, mystischen, aus antikem Stoff in die Jetztzeit transferierten Thrillers aufzusteigen. Dabei wechselt THE KILLING OF A SACRED DEER scheinbar mühelos und stets nur für ein paar Grad die Flugrichtung, entzieht sich so dem Zugriff.

Martin und Steven verbindet eine Erfahrung, kein Genpaket. Vor Jahren ist etwas geschehen, das sie nicht voneinander loskommen läßt. Steven hätte es gern und damit „die Sache“ als erledigt abgetan, doch Martin gibt nicht auf. Selbst teure Geschenke können ihn nicht auf Distanz halten oder gar abschütteln. „Ist ein netter Junge“, sagt Anna, als er das erste Mal zum Essen kommt. Auch auf Kim übt Martin eine magische Wirkung aus. Nur Steven schwitzt, am meisten innerlich. Martin stalkt die Familie, lotst Steven heim zur Mutter, um die beiden irgendwie zusammenzubringen. „Sie haben schöne Hände“, sagt die restschöne Frau. Es wird etwas dauern, bis das auch Stevens Anna bemerken wird. Dann aber ist vieles schon zu spät. Dann sind beide Kinder der Murphys schon gelähmt, müssen das Bett hüten, forschen eilig hinzugerufene Experten an den Ursachen, gerät Steven endgültig in eine Panik, die gekommen ist, um zu bleiben.

Hier also ist der nächste grandiose, streng komplexe Film von Yorgos Lanthimos, einer, der adäquat auf die Versprechen von DOGTOOTH, ALPEN und THE LOBSTER antwortet, der eine zu Teilen irrwitzige Optik mit extremen Weitwinkeln und Kamerafahrten von unter der Decke der Räume mit atemberaubenden Tonspuren paart. Und ein Hütchenspiel mit den Erwartungen ist’s eh.

[ Andreas Körner ]