Wer aktuell Lars von Triers MELANCHOLIA sieht, wird diesen Film aus mehreren Gründen im Gedächtnis behalten. Spätestens jedoch ab dem nachhallenden Moment, in dem Gaby, die Mutter der Braut, einen bösartigen, vom Leben – pardon – gefickten Blick und den dazugehörigen gallegiftigen Satz in die Tafelrunde wirft. Dieser Blick gehört Charlotte Rampling, die hier in einem erstklassigen Ensemble strahlt, darüber hinaus mit ihren in den letzten Jahren eher auf Nebenrollen geeichten Einsätzen noch jeden Film veredelte. Rampling ist besonders und im Wortsinn attraktiv – man fühlt sich an- und hingezogen, trotz oder wegen dieses berühmten Blicks aus den blau-grünen Augen mit schweren Lidern auf Halbmast.
Schon der deutsche Lyriker Georg Rodolf Weckherlin schrieb in seinem Sonett „Von ihren überschönen Augen“ eben von solchen, die mit einem Blick und Blitz, scharf oder süß, nach Lust strafen und belohnen können. Eine schwermütige Vorahnung auf den Blick einer Frau, die fast 500 Jahre nach Weckherlin geboren werden sollte? Der Blick von Charlotte Rampling, der Verwundung wie in François Ozons UNTER DEM SAND signalisiert oder Hochmut wie in Laurent Cantets IN DEN SÜDEN und manchmal einfach Härte wie eben in Lars von Triers MELANCHOLIA. Dieser „Look“ hat es auch Angelina Maccarone angetan, weshalb sie hartnäckig blieb, und es ihr schließlich gelang, Charlotte Rampling, die im Privaten doch eher Verschlossene, zu porträtieren, ihr sich anzunähern – ganz ohne den Ansatz, erklärerisch zu sein. Weil das vergeblich wäre: Ramplings Effekt auf den Betrachter bleibt trotz der Augenanalyse weiterhin verschlüsselt. Aura und Charisma sind die Zauberwörter, und die erkläre mal einer erschöpfend ...
Und so verwandt Maccarone einen Kunstgriff, um eben doch einzutauchen in den Kosmos einer außergewöhnlichen, einer kühnen, einer eigenwillig schönen Schauspielerin, indem sie es zu Begegnungen mit Wegbegleitern und Freunden Ramplings kommen läßt. Dazu gehören der Autor Paul Auster und die Fotografen Peter Lindbergh und Jürgen Teller. Da wird klug und unterhaltsam über das Altern, die Nacktheit und den Tod parliert, und Rampling besticht einmal mehr durch intelligente Anmerkungen über die Absurdität unserer Existenz und das Kino als Ort der Begierde. Die Themenkomplexe sind gewissermaßen in Struktur gefaßt mit Benennungen wie Alter, Schönheit, Dämonen und Liebe, dazu gibt es passende Filmausschnitte aus ihren berühmtesten Werken, zu denen Luchino Viscontis DIE VERDAMMTEN, Woody Allens STARDUST MEMORIES und Nagisa Oshimas Skandalfilm MAX, MON AMOUR gehören.
Von besonderem Reiz ist die Passage mit Barnaby Southcombe. Zum einen, weil sich die Beziehung zu ihrem Gesprächspartner eher unaufdringlich als familiär erweist, und zum anderen, weil Rampling ehrlich bis auf die Knochen ist und ohne Umschweife bekennt, daß sie es haßt, am Theater zu proben, es langweilt sie, auch deswegen dreht sie wohl eher. Obwohl sie auch da selektiert, denn für sie, die immer 100 Prozent gibt, ist die Schauspielerei Enttäuschung und Zurückweisung. Spielen ist Anstrengung! Was kaum zu glauben ist, wenn man Charlotte Rampling eben ganz aktuell in MELANCHOLIA in dieser wie aus dem Ärmel geschüttelten Bösartigkeit sieht.
D 2011, 96 min
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation, Biographie
Darsteller: Charlotte Rampling
Regie: Angelina Maccarone
Kinostart: 20.10.11
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.