Was Michael Winterbottoms THE LOOK OF LOVE mit David Wnendts FEUCHTGEBIETE zu tun hat? Es geht darin auch um Väter und Töchter, um angeknackste Biographien, deren Kanäle in Sex’n’Dreck vorläufigen Durchfluß finden. Bei Winterbottom sieht das Ganze nur schöner aus, riecht besser, hier hat der Held seine Macken und Schläge hinter edlen Fassaden getarnt. Und seine Tochter geht dahinter zugrunde.
Paul Raymond ist viel zu sehr Narziß, zu fixiert aufs eigene Wohl und Wehe, als daß er zu viele Menschen an sich heranlassen würde. Wenn es wenige Auserwählte dann doch schaffen, gibt er die Nähe nicht zu. Raymond ist der Unberührbare. Und Raymond ist ein Mann, den es wirklich gegeben hat. In Großbritannien ist sein Name mit Erotik aller Coleur verbunden, er war „King of Soho“, Revueregisseur, Magazinherausgeber, einer der reichsten Männer der Insel. Kam von unten, robbte nach oben. Er konnte als Magier auf der Bühne Gedanken lesen, bis in den Köpfen des männlichen Publikums geschrieben stand, daß die Assistentin an seiner Seite eindeutig zu viel anhat. Paul Raymond reagierte 1958 mit einem ersten Stripclub, in den 70ern mit Zeitschriften in Pornonähe und auf jede noch so geschickt eingefädelte Attacke der Sittenwächter. Er verdiente Millionen und kaufte ganze Straßenzüge in Soho. Er wußte, wie es ging – fünf Jahrzehnte lang. Die Gedanken seiner Tochter zu lesen, hat er nie geschafft. Nur, interessiert uns das wirklich?
THE LOOK OF LOVE ist ein Film jener Gattung, die den Zwiespalt zelebriert (eine weitere Parallele zu FEUCHTGEBIETE). Thema und Held scheinen weit außerhalb echten Interesses verankert, vom Sujet, auf zehn Zeilen heruntergebrochen, ist man gar unbehaglich angewidert, und doch zieht dieses Kino mit, weil es stimmig ist, stilbewußt, weil es fesch aussieht und klingt, vorzüglich erzählt und gespielt ist.
Bei Michael Winterbottom, einem ausgewiesenen Vielfilmer und Genre-Spring-ins-Feld, swingen nicht nur die Sixties. Beim rasant montierten Schwung durch die Jahrzehnte verläßt ihn vor lauter Ambiente nie der Fokus, der zudem von Winterbottoms männlicher Muse, Steve Coogan, facettenreich gegeben wird – klebrig im Süffisanten, glaubwürdig im Bitteren. Dennoch ist seinem Paul Raymond auf der deutschen Leinwand ein ähnlich trauriges Leben wie Larry Flint oder Howard Stern vorauszusagen. Wer kann sich noch an die erinnern?
Originaltitel: THE LOOK OF LOVE
GB/USA 2013, 99 min
FSK 12
Verleih: Alpenrepublik
Genre: Biographie, Drama
Darsteller: Steve Coogan, Imogen Poots, Anna Friel
Regie: Michael Winterbottom
Kinostart: 29.08.13
[ Andreas Körner ]