Es gibt einige Gründe, dankbar zu sein, daß dieser Film, zwei Jahre nach seiner Entstehung, jetzt endlich in den Kinos zu sehen ist. Béla Tarr ist einer der größten lebenden Regisseure. Ein, diese abgedroschene Bezeichnung muß hier mal sein, kompromißloser Künstler. Seine Filme, um von der abgedroschenen Bezeichnung nahtlos zur journalistischen Floskel zu kommen, sind nicht Arthouse, sondern Art. Der Grund, weshalb Tarr hierzulande außerhalb des Kreises der üblichen verdächtigen Cineasten kaum wahrgenommen wird. Das zum Thema Kulturnation.
Jetzt zu THE MAN FROM LONDON: Maloin ist Signalwärter für die im Hafen seiner Stadt einlaufenden Schiffe. Eines Nachts wird er Zeuge eines Mordes und gerät dabei in den Besitz eines Koffers voller Geld. Ein Schicksalswink. Die Verheißung eines Neuanfangs. Die Möglichkeit, aus der Monotonie und Enge eines erstarrten Lebens auszubrechen …
Die simple Grundkonstellation eines Thrillers – die Romanvorlage stammt von George Simenon. Und was macht Tarr damit? Der entschlackt die Geschichte von allem, was gemeinhin mit „Plot“ zu tun hat. Polt den Erzählgestus gänzlich um, zerdehnt die Dynamik des Handlungsgeschehens bis zu einem Fast-Stillstand. Hier gibt es keinen Befreiungsschlag, keine Eruption. Tarr zelebriert ein weiteres Mal die Kunst einer totalen Entschleunigung. Der Erzählpuls verlangsamt sich. Die Pausen zwischen den Herzschlägen werden länger, quälender. Wie die Blicke in die Gesichter. In das von Maloin, in das seiner Frau, seiner Tochter …
THE MAN FROM LONDON zeigt das in einer Ästhetik, die sich dem Habitus des Film noir bedient und diesen zugleich überhöhend negiert. Da sind die harten Schlagschatten, das akkurat konturierte Schwarz-Weiß. Doch die Lakonie, das Tempo des Film noir wird exorziert. Mit diesen langsamen Schärfenverlagerungen zwischen Großaufnahmen und Totalen, mit diesen so phantastisch ausgearbeiteten Plansequenzen scheinbar unendlicher Dauer. Es lohnt sich dabei ab und an einen schnellen Blick auf die Uhr zu werfen: Wann etwa setzt Tarr den ersten Schnitt? Und wie? Und warum? Grandios!
Man könnte hier noch viel sagen: über die wunderbare Kameraarbeit, die Lichtsetzung, die Tonspur. Den Regisseur. Die Schauspieler natürlich. Doch letztlich bleibt nur eins: Ins Kino gehen und schauen, wie wirkliches Kino geht. Und dabei natürlich einfach große Kunst genießen.
Originaltitel: A LONDONI FÉRFI
Ungarn/F/D 2007, 139 min
Verleih: Basis
Genre: Literaturverfilmung, Thriller
Darsteller: Miroslav Krobot, Tilda Swinton, Erika Bók
Regie: Béla Tarr
Kinostart: 03.12.09
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.