Originaltitel: THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE
Spanien/GB/Belgien/Portugal 2018, 133 min
FSK 12
Verleih: Concorde
Genre: Tragikomödie, Schräg
Darsteller: Jonathan Pryce, Adam Driver, Olga Kurylenko, Stellan Skarsgård
Regie: Terry Gilliam
Kinostart: 27.09.18
In Werke von Terry Gilliam geht man ja leicht verängstigt, angespannt darob, was einen erwartet. Starbesetzung ist klar, aber was wird’s: Geniales à la BRAZIL? Oder Unfug wie BROTHERS GRIMM? Schwarz oder Weiß, kein Mittelding. Jetzt also THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE, in dem Jonathan Pryce die zweite Hauptrolle spielt. Wie bei BRAZIL. Das beste aller denkbaren Omen?
Gemessen an den ersten zehn Minuten: nein. Die nerven vor allem mit seltsamem Geschwafel fürchterlich, auch der protagonistisch tätige Adam Driver fühlt sich offenbar nicht wohl, während er Werberegisseur Toby mimt, einen arroganten Widerling, in dessen vom Geld verseuchten Hirn doch noch Reste des früheren idealistischen Filmstudenten schlummern. Was heißt: Soll er auf ihr Drängen hin die Frau vom Chef vögeln, führt Toby der erotisch geladenen Dame zunächst seinen damaligen Abschlußfilm vor, der ihn kürzlich mysteriös erreichte.
Die Geschichte von Don Quijote, gedreht in einem spanischen Dorf, die dortige Bevölkerung zu Schauspielern befördert. Toby, sehr bewegt, spürt besagtes Kaff auf und erfährt Schreckliches über geplatzte Träume oder geistige Komplettumnachtung. Und endlich sehen wir Pryce. Er, ein namenloser Alter, einst Darsteller des Don, trieb mental weg, glaubt daran, selbst der „Ritter von der traurigen Gestalt“ zu sein, sucht die angebetete Dulcinea, hält – natürlich – Toby für Sancho Panza, rekrutiert den verdutzten Neu-Knappen und los, rein ins Abenteuer!
Wir reiten mit, nunmehr freiwillig und vollkommen hingerissen, direkt hinein in Gilliams wunderbaren Irrsinn. Welche gigantische Spielwiese dieser vorfindet, bedingt allein schon die Vorlage, deren hintergründiger Witz auf dem Zusammenprall von Realität – sowie Sancho Panzas entsprechenden Hinweisen – und Don Quijotes ureigenen, verwirrten Interpretationen beruht. Ein Konzept, das Gilliam aufgreift, manchmal direkt zitiert (Kampf gegen Windmühlen), oft weiterentwickelt.
Ihm graut vor so ziemlich nix, ein lauter Trump-Gag erhält genauso Platz wie der ins Leere schweifende Blick eines liebkosten Schafes, sogar die seit Ewigkeiten zum Aufreiben und wesentlich Üblerem taugenden Religionsstreitigkeiten begegnen uns in heiterster Schräglage. Auf Zuschauerseite bringt jenes unmöglich in Worte zu fassende cineastische Füllhorn, das am laufenden Meter Ideen, Tragik, Beklopptheiten und Gefühle fließen läßt, zudem einigen Erkenntnisgewinn: Esel eignen sich wenig für Verfolgungsjagden. Es stimmt, daß größter Wahnwitz immer im Realen fußt. Und als „verrückt“ Abgefertigte sind eindeutig die besseren Menschen.
Fazitversuch: Wenn es ein echtes Drehbuch gab, hat Gilliam es vermutlich unter dem Einfluß diverser Substanzen verfaßt. Richtig guter Stoff war’s, der auf extrem fruchtbaren Empathie-Boden fiel, denn wo findet man heutzutage solche Intelligenz, Zugewandtheit und Bereitschaft zum unbegrenzten Verstehen an Ränder Abgedrifteter, der scheel beäugten „Anderen“?! Gilliam liebt – eine Parallele zum grandiosen KÖNIG DER FISCHER – jede seiner massiv angeschlagenen Figuren hingebungsvoll, ohne Bedingungen, eben echt.
Und ihm gelingt es, stets Cervantes’ Wälzer zu respektieren. Weswegen er kaum THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE sein kann, sondern umgekehrt das eine klassische Geschichte brillant in die Moderne transportierende Genie. Die Widmung am Ende gilt Jean Rochefort und John Hurt. Zwei hinreißend kantigen Charakterköpfen. Paßt.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...