Originaltitel: THE PARTY
GB 2017, 71 min
FSK 12
Verleih: Weltkino
Genre: Tragikomödie, Satire
Darsteller: Patricia Clarkson, Kristin Scott Thomas, Timothy Spall, Bruno Ganz, Emily Mortimer, Cillian Murphy
Stab:
Regie: Sally Potter
Drehbuch: Sally Potter
Kinostart: 27.07.17
Sie flötet ins Handy wie der Wolf nach gefressener Kreide: Janet wurde auf einen Ministerposten gesetzt, nimmt bescheiden allerhand Glückwünsche entgegen, lacht dabei immer einen Tick zu laut. Aber welche stolze, ehrgeizige, schöne Frau muß die Dezibel drosseln, wenn ihr der Akademiker-Gatte Bill huldigt, sich beste Freunde auf dem Weg zur Party im prächtigen Haus befinden?!
Schon trifft April ein, deren Berufung darin zu bestehen scheint, zynischen Wortes jeden kleinen emotionalen Schnitt zur klaffenden Wunde aufzureißen. Ungefilterte Verachtung läßt jenes eigentlich hübsche Gesicht zur Fratze degenerieren, während Janet mit ihrer Mutter telefoniert – pfui! Igitt auch über alles, was Aprils sklavisch ergebener Mann Gottfried sagt oder tut, seine Art zu schweigen, atmen, eben grundsätzlich existieren. Hingegen sind Martha und Jinny, ein sich Kinder wünschendes lesbisches Paar, einander eng verbunden, aber wer weiß, der Abend hat ja erst begonnen. Und schließlich hetzt Tom herbei. Ohne Gattin. Eher mäßig interessierte Spekulationen folgen, dann hat Bill Wichtiges zu sagen. Und plötzlich fallen Masken, wird einiges an Köpfe geworfen – verbalen Fetzen fliegen Champagnergläser und Fäuste hinterher …
Ehrlich: Falls Sie beabsichtigen, anno 2017 lediglich eine Komödie zu sehen, sollte THE PARTY ganz oben auf der Favoritenliste stehen. Weil Sie mehr fürs Geld bekommen, namentlich quasi gratis dazu ein vollwertiges Drama sowie eine in mehrfacher Hinsicht knallige Pointe, deren ausgelassenem Frontalkopfschlagpotential man nur schwer entgeht. Straffe 71 Minuten später schließt sie den Kreis zur ersten Szene, die bereits schwerste psychische Auflösung zeigte. 71 Minuten, denen kein redundanter Augenblick anhängt, kein verzichtbarer Wimpernschlag ausnahmslos brillanter Darsteller. Und kein vertrödeltes Bild. Regisseurin/Autorin Sally Potter hat beim auf wenige Tage komprimierten Streß-Dreh nicht etwa den Farbfilm vergessen, arbeitet in knackigem Schwarzweiß vielmehr unterschiedlichste Grautöne heraus – sämtliche Figuren verlernen das andererseits zunehmend, im Gebrüll des Gefechts gehen Differenzierungen flöten. Zur größten Freude des Zuschauers.
Man tauche bestenfalls per breitflächig angebotener Originalfassung tief hinab in Potters bösartig gespitzte Dialogwelt, tanze auf ihren Wort-Vulkanen, vom angriffslustig rausgezischten „Someone Has To Do The Thinking!“ bis zum staubtrockenen „What’s Happening?“ – „Revenge.“ Einmal gepflanzt, wuchern solche Giftigkeiten auf von Doppelmoral verseuchtem Gedankenboden: Klar spricht rein gar nichts gegen eine Affäre, sofern man selbst sie pflegt, beim Partner gilt Abweichendes. Natürlich sind Martha und Jinny unabhängige, der Gesellschaft kämpferisch den Stinkefinger zeigende Frauen; jedoch bitte bloß bis zum kommenden, „Mutter“ benannten Lebensprogrammpunkt.
Vergleichbarem à la Polanskis DER GOTT DES GEMETZELS hat Potter da dreierlei voraus: meisterliche Eleganz, trotz allem Dezenz und solide Bodenhaftung – niemand vollzieht überinszenierte Wandlungen rein um des Twistes willen, sieben Menschen bleiben eigentlich die alten Bekannten, deren Tarnung allerdings sukzessive komplett versagte. Entfesselte Schutzlosigkeit, fremde Facetten. Und – ausgerechnet! – Aprils gleichermaßen wunderbar komische und verblüffend emotionale abschließende Reaktion auf die etliches den Bach runterschickenden Geschehnisse einer einzigen Nacht.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...