Originaltitel: GOKSEONG
Südkorea 2016, 156 min
FSK 16
Verleih: Alamode
Genre: Horror
Darsteller: Kwak Do-won, Hwang Jung-min, Jun Kunimura
Regie: Na Hong-jin
Kinostart: 12.10.17
Es ist der Horror! Und zwar der blanke. Ein Wildling mit Lendenwindel vergräbt sein Gesicht in einem Wildkadaver, bevor er mit roten Augen auf einen unschuldig verschreckten Kräutersammler zurennt. In einem ärmlichen Haus liegen grausam zugerichtete Leichen, der Täter sitzt starr, aber irgendwie lebendig an der Pforte. Blitz, Donner, Geschrei – gefackelt wird in THE WAILING nicht allzu lange. Und der Horror endet nimmermehr.
Es begibt sich im Dorf Goksung, daß alte und junge Menschen zunächst geheimnisvolle Pusteln auf der Haut bekommen und danach meucheln. Nachbarn sind gegenseitig nicht mehr sicher, Frauen und Männer, sogar Kinder trifft diese seltsame Besessenheit. Wie die kleine Tochter des Polizisten Jong-gu, die gerade noch ihren Eltern beim flüchtigen Sex im Auto zusieht und vor der Nacht ganz lieb mit Papa kuschelt. Das Mädchen wird sich schleichend verändern, zunächst in der Tonlage, dann in den Worten, bald auch in der Tat.
Jong-gu ist kein mutiger Polizist. Macht auf dickes Ei nur, wenn er mit Kollegen spricht und sie gern mal „nichtsnutzige Pfeifen“ nennt. Jetzt, da das Mysterium aber von seiner Familie Besitz ergreift, bekommt es Jong-gu mit der Angst zu tun. Angst, die Trieb ist. Von Aufklärung kann keine Rede mehr sein, die bestialischen Tode packen das gesamte Dorf. Der Schuldige ist schnell gefunden, denn im Wald wohnt ein Fremder, ein „Japse“, ein Japaner also, der wie in einem Schrein Fotos der Toten an Wände pinnt und Kerzen seltsam flackern läßt. Die Wut hat jetzt einen Adressaten. Allerdings ist THE WAILING mit 156 Laufminuten natürlich etwas zu lang, um nach einer Stunde schon seine Lösung zu offenbaren.
Die dritte Arbeit von Regisseur Na Hong-jin wuchert wild auf allen Ebenen. Die Buddy-Cop-Phase verläßt er schnell, um sich in einem latent blutigen, extrem sinnkratzenden Szenario zu ergehen, das mit Brutalität genauso umzugehen weiß wie mit surrealistischen Sequenzen, das eine blühende Religionsmelange aus Gläubigen und Schamanen bietet und Einblick in starre Strukturen von Familie und sogar politische Verweise, wobei die Justiz im besten Falle Selbstjustiz ist.
Südkoreanisches Kino hat hierzulande einen eigenen Ruf, THE WAILING wird ihm vollends gerecht. Nebenbei ist es noch der inoffizielle asiatische Beitrag zum Luther-Jahr, denn mit einem Vers aus der Bibel, Lukas Kapitel 24, beginnt das Unheil.
[ Andreas Körner ]