Originaltitel: THE ZERO THEOREM
USA/GB 2013, 107 min
FSK 12
Verleih: Concorde
Genre: Science Fiction, Schräg
Darsteller: Christoph Waltz, David Thewlis, Melanie Thierry
Regie: Terry Gilliam
Kinostart: 27.11.14
Ursache und Wirkung, Sinn und Form, Zeit und Raum. Das eine, das sich ins andere fügt, aber immer ausgeht von dem einen Großen. Der Urformel, die der Kausalitäten-Kette des Universums, dem Sein, der „Existenz an sich“ zu Grunde liegt. Den Gesetzmäßigkeiten, die man, je nach Welt-Anschauung, als mathematisch-physikalisch oder göttlich apostrophieren mag – wenn man denn diesen Unterschied überhaupt machen will.
Denn sieht man jetzt Terry Gilliams THE ZERO THEOREM, mag einem Einsteins hübsches Diktum einfallen, das besagt: „Gott würfelt nicht.“ Soll heißen, daß Gott und Physik so unterschiedlich nicht sind. Daß nichts Willkür und Zufall, aber alles einer Sinnstruktur folgt, deren innere Logik für das menschliche Hirn zwar zu komplex sein mag, aber – rein theoretisch – berechenbar ist. In einer alles komprimierenden Formel ruht das Geheimnis des Seins, vor dessen Rätsel uns Gott, ganz der große Mathematiker, gestellt hat.
Doch, man muß ihn schlagen, diesen existenzphilosophischen Bogen, will man halbwegs angemessen über Gilliams neuestes Werk reden. Qohen Leth heißt darin der traurige Held. Ein Don Quixote in dystopischer Zukunft im Kampf mit den Windmühlen der Erkenntnis, ein spinnerter Spinoza, der in der Ruine einer Kirche (!) vor großen Computerbildschirmen fiebrig nach der allumfassenden Formel sucht. Das Zero Theorem wird die hier genannt. Und als Belohnung für dessen Entschlüsselung locken neben der Antwort auf die Frage, was die Welt denn nun so im Innersten zusammenhält, noch das große Lob des Firmenchefs, für den Qohen arbeitet. Und – das vor allem: der Anruf. Der Anruf, auf den Qohen, kauziges Genie und abgrundtief einsamer Mensch, so sehnsüchtig wartet wie Becketts vergleichbar skurrile Helden auf Godot. Jedes Telefonklingen gerät da zum Heilsversprechen, und das Schrillen im Kirchenraum ist eines der vielen, seltsamen Leitmotive, die sich durch THE ZERO THEOREM ziehen.
Ein Film, psychedelisch und kryptisch. Und wo Gilliam sonst beim Fabulieren gern ausufert in die epische Phantasmagorie, gestaltet er jetzt eine Art gnostisches Kammerspiel in sakraler Ruine. Und allein, was diese schon an Ikonographie und Anspielungen, bildnerischen Deutungslockungen und ironischem Handlungskommentar birgt, ist famos.
Das Problem dabei: Man kann beim Zuschauen nicht innehalten, um kurz zu rekapitulieren und nachzudenken. Nicht „zurückblättern“ zu können, offenbart sich gerade ob dieses Films als der wirklich einzige Nachteil des Kinos gegenüber der Literatur. Und so treibt man wie Qohen selbst durch die Handlung. Vorbei an bröckelnden Fresken, von deren Motiven garantiert keins versehentlich ins Bild gerät. Man sieht Tauben oben im Kirchenschiff und Ratten unten vorm Altar, und man sieht den Gekreuzigten, der statt eines Kopfes eine Überwachungskamera trägt. Man lernt den Chef des Firmenimperiums ManCom kennen, ein blasiertes Chamäleon namens „Management.“ Eine gewisse Frau Dr. Shrink-Rom spricht Qohen (also uns) therapeutischen Trost zu, und die verführerische Bainsley lockt in fadenscheinige Welten des Glücks. Weg vom Formelbasteln mit monströsen Würfel(!)-Bausteinen, die Qohen mit zunehmend irrem Blick am Rechnerbildschirm hin- und herschiebt. Und was er dabei alles vergißt, übersieht und überhört, macht ihn zum tragikomischen Sinnsucher im Labyrinth der Sinnlosigkeit, dem ein wunderbarer Christoph Waltz markant Gesicht und Kontur gibt.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.