Originaltitel: THE ZONE OF INTEREST
GB/USA/Polen 2023, 105 min
FSK 12
Verleih: Leonine
Genre: Drama, Historie
Darsteller: Sandra Hüller, Christian Friedel, Imogen Kogge
Regie: Jonathan Glazer
Kinostart: 29.02.24
Jonathan Glazer gibt dem Publikum ausreichend Zeit, um die Augen in der Finsternis heimisch werden zu lassen. THE ZONE OF INTEREST beginnt mit lange Zeit pechschwarzer Leinwand, verblassendem Filmtitel, sphärischen Klängen, ehe sich Vogelzwitschern in die Tonspur mischt und ein Familienidyll erscheint. Das Ehepaar Höss, verkörpert von Christian Friedel und Sandra Hüller, kehrt gerade mit den Kindern vom Badeausflug zurück in das heimische Anwesen, wo die Pflanzen herrlich blühen, aber die Nächte selten vollends dunkel werden.
Die schockierende Enthüllung, wo man sich hier eigentlich befindet, folgt prompt: Aus dem Konzentrationslager Auschwitz in der unmittelbaren Nachbarschaft lodern Flammen in den Himmel. Glazer, ein Meisterregisseur mit leider erst vier Langfilmen in über 20 Jahren, observiert Szenen einer perversen Normalität. Morgens verabschiedet man sich mit Küßchen. Vater Rudolf, Kommandant des KZs, muß zur Arbeit. Mutter Hedwig, von ihrem Rudi „Königin von Auschwitz“ genannt, kümmert sich derweil um Beete und Kindererziehung, befehligt Sklaven oder probiert schicke Mäntel, die von den Ermordeten auf der anderen Seite der Gartenmauer hinüber in den Besitz der Täter wandern.
Mit verstörender Präzision sind diese Szenen montiert, meist eingefangen in statischen, hochauflösenden Überwachungsaufnahmen. Sie laden zum diskreten Beobachten ein, springen dann wieder zwischen Einstellungen, als würde man einen Modellbau analysierend hin- und herdrehen.
Glazer hat einen Film über den Holocaust als Beruf und Alltag gedreht. Gartenfeste, Empfänge, Verwandtenbesuch, Kinder spielen. Das zynische Sprechen über die eigene Lebensrealität reflektiert man längst nicht mehr. Am Horizont qualmen indes Züge, die neue Gefangene nach Auschwitz bringen. Männer beraten in der Stube über moderne Öfen, die effizienter ihre „Ladungen“ verbrennen sollen. Und immerzu ist der Massenmord auf der grauenerregenden Tonspur präsent: Geräusche des Todes und der Qual. Gespenstisch ist dieses schwer erträgliche, aber unbedingt sehenswerte Werk. Ein Experiment über das Omnipräsente, das nicht gesehen und gehört werden will. Blumen und Ranken an der Mauer sollen den Blick auf das Lager nebenan verschönern. Doch der Körper verrät mehr über die eigene Schuld, als ihm lieb ist, etwa, wenn er Asche aus der Nase schnaubt oder überwältigt zu würgen beginnt.
Glazer formt daraus ebenso einen Test für das Publikum, allein, weil sich die Ohren in den Kontrasten zwischen dem Schönen, Gewöhnlichen und dem Barbarischen immer wieder an die Klangkulisse zu gewöhnen drohen. Also braucht es wachrüttelnde Unterbrechungen, die Glazer als aufleuchtende Farbflächen, Nachtsichtaufnahmen verborgener solidarischer Gesten oder die einschüchternd rumorende Musik von Mica Levi einbaut.
Um eine schlichte Versenkung in diesen fürchterlichen Kosmos oder gar eine Einfühlung kann es hier nicht gehen. THE ZONE OF INTEREST ist ein schmerzhafter Augenöffner, eine sich immer wieder selbst verfremdende Demonstration und ein filmischer Meilenstein. Eine Zäsur in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Sowohl in seiner formalen und perspektivischen Radikalität als auch im Abstraktionsvermögen seiner Konstellation, welche Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen klarer sehen läßt und spätestens im Finale eindrucksvoll verflicht.
Man schaudert bei diesem Film, weil er über das spezifisch Historische, den Völkermord der Nazis, hinausweist, allgemeine menschliche Dynamiken herausschält und damit auch vor neuen, heutigen Externalisierungen und Verdrängungen warnt: die Kälte eines bürgerlichen Konformismus, der seinen gewohnten Alltag mit allen Routinen als vermeintliche Pflicht und Ordnung vor sich herträgt, solange die eigene Position in der Hierarchie stimmt.
Und solange es noch jemanden unter einem gibt, solange das Gewissen erträgt, daß der genossene Wohlstand und Konsum immer auch auf Ausbeutung, Ausgrenzung und Zerstörung fußen. Es wäre jederzeit klar erkennbar, hätte man nicht gelernt, den Blick brav abzuwenden.
[ Janick Nolting ]