Die Sicht ist schlecht. Alles ist verschwommen, unscharf, als wäre man betrunken und würde nach einer durchzechten Nacht durch verquollene Augen blinzeln. Auch deshalb erhascht man am Anfang nur eine Idee von der jungen Frau, die in lindgrünem Kleid lachend über eine Wiese rennt und ein blutverschmiertes weißes Ding vor sich herschmeißt. Schnell wird klar, daß hier nichts auf ein gutes Ende hinausläuft. Hier, das ist ein Bauernhof irgendwo in der nordamerikanischen Provinz. Dort leben die junge Sarah und der alte knorrige Jeremiah. Was die beiden verbindet, ist unklar, jedenfalls wird ihre innige Zweierbeziehung durch den jungen Akin aufgepeppt, der auf dem Hof mithelfen soll.
Da hört die Handlung auch schon auf, die Psychotour fängt an. Denn Sarah hat sich ganz fest in den Kopf gesetzt: Sie will einen Liebhaber finden und hat auch ziemlich klare Vorstellungen, wie dieser sein müßte. Der Neuankömmling kommt also gerade recht. Um ihn für sich zu gewinnen, setzt sie alles daran, ihre weiblichen Reize an den Mann zu bringen. Dabei sieht sie ziemlich gut aus, von Landei keine Spur, eher erinnert sie an ein Model aus einer Jeans-Werbung. Für Akin, der auf solche Avancen nicht vorbereitet war, wird es zum Kampf, der Versuchung zu widerstehen.
THOU WAST MILD AND LOVELY ist eine verführerische Versuchsanordnung, es geht um Begehren, Lust, dazwischen Tiere und die Romantik blumiger Sommerwiesen. Diese Idylle aber öffnet die junge Regisseurin Josephine Decker, die derzeit als neuer Independent-Star gefeiert wird, für das Abgründige, das Verbotene und verleiht ihr so etwas Beängstigendes. Die Perspektive, die Decker einnimmt, ist höchst subjektiv. Die Welt in ihrer Gesamtheit kommt nicht vor, vielmehr geht es um das Innenleben und Sehnsüchte der Figuren. Um die zu verdeutlichen, fliegen auch schon mal Küchenutensilien durch die Luft. Die Frau ist im Film die treibende Kraft. Der Mann das Opfer, das sich und seine Begierden nicht unter Kontrolle hat.
Die Lage in THOU WAST MILD AND LOVELY spitzt sich am Ende zu, Abgründe tun sich auf und kulminieren in einer seltsamen Mischung aus Sex und Gewalt. Das ist verstörend und hat mit der Befreiung aus gesellschaftlicher Enge wenig zu tun. Vielmehr zerstört die Regisseurin Sehnsüchte, denn auch das idyllischste Fleckchen Erde kann voller Horror sein.
Originaltitel: THOU WAST MILD AND LOVELY
USA 2014, 76 min
Verleih: Arsenal Institut
Genre: Thriller, Drama, Erotik
Darsteller: Sophie Traub, Robert Longstreet, Joe Swanberg
Regie: Josephine Decker
Kinostart: 13.11.14
[ Claudia Euen ]