Julie Taymor hat sich an die wohl bluttrunkenste Shakespeare-Vorlage TITUS ANDRONICUS gewagt und ein orgiastisches Kinogemälde geschaffen, daß so außergewöhnlich, so experimentierlüstern gelang, daß man nur offenen Mundes staunen muß. Verwirrt es anfangs noch ein wenig, daß sich Taymor in keiner einzigen zeitlichen Ebene ansiedelt - da wird Kriegsgefährt und Soldatenschar in Riefenstahl-Optik aufgefahren, da werden Computerspiele integriert, um schließlich in die heiligen Mauern des alten Roms zurückzukehren - erschließt sich einem bald Taymors künstlerisches Gesamtkonzept. In Originalversform erzählt sie das Intrigen-Blutrache-Vergewaltigungsdrama, diesen niederträchtig ausgetragenen und für viele tödlich endenden Disput zwischen der gothischen Königin Tamora und dem römischen General Titus. Tamora rächt sich auf bestialische Weise an Titus, der ihren Sohn zum Ruhme der gefallenen Römer opferte, in dem ihre Söhne Chiron und Demetrius Titus Tochter Lavinia viehgleich mißbrauchen und verstümmeln. Titus irrt lang, bevor er die Intriganten entlarvt und einen Racheplan schmiedet, der viele Köpfe kosten wird.
Taymor inszeniert farb- und detailverliebt, geradezu gegen den Strich bürstet sie Sehgewohnheiten klassischer Stoffe, und doch wird sie der Vorlage verblüffend gerecht, ohne ihre eigenen künstlerischen Ambitionen und Exzesse zu vernachlässigen. Eine erstaunliche Leistung, ein exzentrischer Meilenstein im Kino ohnehin.
Anthony Hopkins ist als Titus in einer sehr gut ausgeloteten und in einer seiner markantesten Rollen zu sehen. Wenn er schlußendlich mit einer Kochmütze versehen Tamora eine selbstgebackene Pastete serviert, die Königin nicht ahnt, daß der verschmitzt lächelnde Gastgeber ihre leiblichen Söhne verbacken hat, dann fährt dem Zuschauer ob des vertrauten Gestus von Hannibal Hopkins ein wohliger Schauer durch Mark und Bein.
Originaltitel: TITUS
USA 1999, 162 min
Verleih: EMS
Genre: Literaturverfilmung, Tragödie
Darsteller: Anthony Hopkins, Jessica Lange, Alan Cumming, Jonathan Rhys Meyers
Regie: Julie Taymor
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.