Originaltitel: TOKYO TRIBE
J 2014, 116 min
FSK 16
Verleih: REM
Genre: Drama, Action, Musikfilm
Darsteller: Young Dais, Nana Seino, Ryôhei Suzuki, Shōta Sometani, Yōsuke Kubozuka, Riki Takeuchi
Regie: Sion Sono
Kinostart: 30.07.15
Die Wege der Globalisierung sind unergründlich. Nicht nur, daß Äpfel neuerdings aus fernen Ländern anreisen. Selbst der westlichen Kultur hat man Beine gemacht, auf daß sie von ihren exotischen Urlaubszielen gebräunt und um internationale Erfahrungen reicher heimkäme. Aber erkennt man sich nach all den Jahr(hundert)en noch wieder? Zum Beispiel nach einem ausgedehnten Aufenthalt in Japan?
Irgendwo dort steht ein Fleischwolf, der Shakespeare, Händel, Tarantino, Shogun-Attitüde und Softcore-Anzüglichkeit zu Brät verarbeitet. An der Kurbel dreht Filmemacher Sion Sono, und zwar mit dem Ehrgeiz, seinen Ruf als anarchischer Verwurster von Grundstoffen jeglicher Art zu verteidigen. Diese Real-Life-Adaption eines Mangas von Santa Inoue ergänzt Sonos Œuvre allerdings um eine neue Facette, die man – aus lauter interkultureller Verlegenheit – wohl eine kinky Rap-Operette nennen sollte.
Auf den Flügeln von Reimen, „eingesungen“ von den Größen der japanischen Hip-Hop-Szene, flattern wir in ein dystopisches Tokio, das von Gangs regiert wird – mit all den dicken Eiern und aufgeplusterten Platzhirsch-Posen, die man aus dem Pop-Universum von Ice-T und 50 Cent kennt. Als die jungfräuliche Erika von der Straße weg gekidnappt wird, gerät der Status quo zwischen den Banden aus dem Gleichgewicht. Kai, Wortführer der Musashino-Saru, versammelt die Stämme der Tokioter Großstadtindianer hinter sich und zieht in den Martial-Arts-Kampf gegen Big Buppa und dessen unappetitliche Gefolgschaft.
Sono dirigiert seinen unwiderstehlich breitbeinigen Gangbang mit Ironie – in einer Out-Of-Bed-gestylten, in Musikvideoclip-Manier direkt auf die Fresse zielenden Trash-Ästhetik. Silikon-Dildo neben schüchternem Kuß, Strategien des Storytellings aus Wrestling und Pornographie neben jenen hehren Gesten, mit denen sich einst Montagues und Capulets gegenüberstanden. Und er unterzieht unsere Lesefähigkeit für vertraute pop- und hochkulturelle Zeichenhaufen einem Härtetest, der sich anfühlt, als müsse man aus Erbrochenem ein Zehn-Gänge-Menü rekonstruieren.
Seine alptraumhafte Vision des Molochs Tokio entfaltet sich in Kulissen, für die ganze Deponien aus Plastikmüll ein zweites Mal gestorben sein könnten: Garküchen und Kaschemmen, signalfarbige Gänge in Vagina-Optik und katzengoldige Prunkinterieurs, an denen wir Langnasen uns selbige plattdrücken dürfen. Aber gerne!
[ Sylvia Görke ]