Originaltitel: TOMMASO
I/GB/USA/Griechenland 2019, 115 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen
Genre: Drama
Darsteller: Willem Dafoe, Cristina Chiriac
Regie: Abel Ferrara
Kinostart: 13.02.20
Anno 1994 wurden die paar sich zu Abel Ferraras SNAKE EYES verirrenden Zuschauer praktisch vom Kinochef persönlich per Handschlag und Schulterklopf begrüßt – doppelt schade, weil der Klopper zwei Thesenbrocken zum Rollen brachte. 1.: In Madonna ruht doch fragmentarisches Schauspieltalent. Und 2.: Wenn Ferrara autobiographisch erzählt, gibt’s Tortur für alle statt Selbstbeweihräucherung. Wenigstens 2. sollte angesichts dieser Sozusagen-Neuauflage als gesichert gelten.
Hier wie dort stellt Ferrara die aktuelle eigene Frau (heuer Cristina Chiriac), jeweils leinwanddebütierend, (s)einem Alter Ego zur Seite, einst gemimt von Harvey Keitel, jetzt übernimmt Willem Dafoe den Job und greift natürlich automatisierte Kritiker-Lobeshymnen ab, obgleich er das häufige Ausrasten teils störend übertreibt. Egal, der Mann hat bekanntlich was drauf, beispielsweise (weitere Parallele zu Keitel) einen ganzen Film navigieren, quer durch sämtliche Berge und Täler seines Charaktergesichts, die (original-)stimmlichen Brüche und uralten Blicke.
Regisseur Tommaso ist er, Ex-Alkoholiker, möchte zur Ruhe kommen, mit viel jüngerer Gattin namens Nikki und einem 3jährigen Mädchen. Letztere betet er an, Erstere – „Mutter meiner Tochter“ – darf sich im Streitfall auch anhören: „You Talk A Lot Of Shit!“ Verlust des Respekts, Anfang vom Ende jeder Bindung, der Film bebildert passend Abwärtsspiralen: Tommaso und Nikki gehen zusammen einzeln drauf, die Beziehung sowieso, jemand stirbt schließlich. Metaphern, Anspielungen, Gedankenwirrwarr, zwei Stunden Kopfkino zwischen Kunst und Künstlichkeit, eine zum Stemmen auffordernde kantige Herausforderung, inszenatorischen Gewinn aus regelrechter Aufdringlichkeit ziehend; einmal stößt Dafoe die hautnah plazierte Kamera fast um.
Unerbittlicher Intimitätsverzicht, welcher nicht an der Linse endet, sich dem Sujet ansaugt und schmutzige Lappen schwingend antritt, die Realität-Fiktion-Grenzen zur Unkenntlichkeit zu verwischen. Wo und wann fließt das wahre Leben irreversibel hinüber, leidet nicht Nikki, sondern Chiriac, spricht Dafoe aus Ferraras Mund, dem öffentlich bereits Emotionales entfleuchte à la: „Kinder saugen ihre Eltern ja gerade in den ersten Jahren aus“? Keine Chance, es auszuloten – und Ferrara würdig begegnen zu können, der eben jenes Fragezeichen, die voyeuristische Neugier, umdreht und gegen uns richtet.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...