D 2013, 110 min
FSK 16
Verleih: REM
Genre: Drama
Darsteller: Julius Feldmeier, Sascha Alexander Gersak, Annika Kuhl
Stab:
Regie: Katrin Gebbe
Drehbuch: Katrin Gebbe
Kinostart: 09.01.14
Das verstörende Debüt der Nachwuchsregisseurin Katrin Gebbe war in 2013 der einzige deutsche Wettbewerbsbeitrag in Cannes. Die gnadenlose Konsequenz ihrer Geschichte erinnert an die Filme Matthias Glasners, der als Berater am Drehbuch mitwirkte. Das Ergebnis ist im wahrsten Sinne des Wortes erschütternd – filmisch und moralisch.
Der junge Tore ist ein „Jesus-Freak“, lebt gemeinsam mit Punks, jungen Christen und anderen Suchenden in den Tag hinein. Tore hat nichts und will es nicht anders – er ist auf der Suche nach Gott und erscheint wie ein einsamer und sehr verwundbarer Wanderer zwischen allen Welten. Mit seiner stoischen Konsequenz eckt er sogar in der Gemeinschaft der Freaks immer wieder an. Als er Benno und dessen Familie trifft, scheint ihm das wie ein göttliches Zeichen. Kurzerhand zieht er zu ihnen in den Kleingarten. Doch die Idylle währt nicht lange. Familienvater Benno erweist sich als jähzornig, aufbrausend und gewalttätig und hat in Tore ein unheilvoll „passendes“ Gegenstück gefunden. Denn Tore wehrt sich nicht, erkennt gar in der immer heftiger werdenden Mißhandlung eine göttliche Herausforderung ...
Katrin Gebbe zeigt mehr als genau, wie Gewalt entsteht, wie sie sich fortpflanzt und schließlich zu einer Art Normalität wird. All das, was im klassischen Actionkino nach dem Schnitt passiert, wird hier sichtbar, hörbar und damit ein Stück weit spürbar. Die Gewalt ist nicht schnell und plötzlich, sondern findet langsam und verzögert statt. Das Schlimmste daran sind die Pausen, in denen deutlich wird, daß wir keineswegs Zeugen eines ohnmächtigen Rausches werden, sondern miterleben, wie Gefühl, Überlegung, Instinkt, Wut und Reflexion eine unheilvolle Verbindung eingehen. Am Ende ist es absurderweise nicht mehr die Gewalt, die am meisten weh tut, sondern das Aushalten, das „Sich-nicht-Wehren“ des Opfers, das man einfach nicht mehr sehen will.
Gebbe erzählt ihre Geschichte mit drastischen Bildern und viel biblischem Symbolismus. Darin erinnert sie nicht nur an den erwähnten Glasner, sondern auch an Lars von Trier. Sie hat einen unbequemen, wilden Film geschaffen, der so gar nichts mit den typisch deutschen Hochglanzstücken und den artifiziellen Alltagsbeobachtungen aus Berlin und anderswo gemein hat. TORE TANZT ist ein kunstvoll kalkulierter Tabubruch, der – das muß trotz Lob deutlich gesagt werden – ausgesprochen schwer zu ertragen ist.
[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.